Galgentochter
Euch recht schön.»
Befriedigt lehnte sich der Mann zurück, zeigte auf das Gestell neben der Feuerstelle. Jetzt erst sah das Mädchen, dass ihr Kleid dort hing.
«Du hast lange geschlafen. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Dein Kleid ist unterdessen getrocknet. Wenn du aufgegessen hast, kannst du gehen.»
Das Mädchen schwieg, sah den Fischer nur an.
«Du weißt nicht, wo du hin sollst, habe ich recht?»
Das Mädchen nickte.
«Woher kommst du?»
Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch sagen sollen: Aus dem Hurenhaus komme ich? Dann hätte er sie dorthin zurückgeschickt.
«Na, woher kommst du? So rede doch, Mädchen.»
«Ich weiß es nicht», erwiderte sie schließlich. «Mit meiner Mutter war ich unterwegs. Dann war Mutter plötzlich weg, und ich war allein. Ich dachte, sie wäre ins Wasser gegangen, deshalb ging ich auch in den Fluss.»
Der Mann neigte den Kopf, zog die Augenbrauen zusammen. Das Mädchen sah, dass er ihr nicht glaubte.
«Bist du vielleicht schwanger?», fragte er.
Sie erschrak. Schwanger? Konnte man vom ersten Mal schon schwanger werden? Nein, nein.
«Ich glaube nicht», sagte sie leise.
«Aber möglich wäre es, wie?»
Sie zuckte mit den Achseln. «Ich weiß nicht, wie man schwanger wird. Woher soll ich dann wissen, ob ich es bin?»
Der Mann lachte. «Wenn du das nicht weißt, dann bist du auch nicht schwanger. Kannst gehen, wohin du willst, kannst dir eine Anstellung suchen.»
«Kann ich nicht hierbleiben?», fragte sie.
«Nein, das geht nicht. Ich heirate nächste Woche. Meine Braut wird nicht wollen, dass eine andere Frau mit hier lebt. Und für eine Magd haben wir kein Geld.» Der Fischer stand auf, reichte ihr ihr Kleid, drehte sich um. «Zieh dich an, Kleine. Du musst jetzt gehen.»
Das Mädchen gehorchte. Als sie fertig war, gab ihr der Fischer ein kleines Bündel. Ein halber Laib Brot war darin, ein Stück Speck, zwei Äpfel.
«Mehr habe ich nicht», sagte er. «Du wirst schon was finden.»
Sie war schon an der Tür, als er rief: «Kannst du kochen?»
Das Mädchen drehte sich um und nickte. «Ja. Kochenund backen auch. Ich habe schon Böden gescheuert, Wäsche gewaschen, gekocht, gebacken, gebraut, gebuttert.» Sie zeigte ihre Hände vor, die vom Arbeiten ganz rau waren.
«Gut», erwiderte der Fischer. «Du bist noch jung, solltest nicht allein durch die Welt ziehen. Dem lutherischen Pfarrer ist die Frau gestorben. Eine Haushälterin sucht er jetzt. Vielleicht kannst du bei ihm bleiben.»
Das Mädchen lächelte. Eigentlich war es kein Lächeln, eigentlich verzog sie nur den Mund. Aber mehr konnte sie nicht, war zum Lächeln nicht gemacht.
Der Fischer stand auf, ging mit ihr nach draußen und wies ihr den Weg. «Sag, Johann, der Fischer, schickt dich.»
Das Mädchen nickte und verzog noch einmal die Lippen, bevor sie davonging. Nach einer kleinen Weile drehte sie sich noch einmal um. Der Fischer stand vor seiner Hütte und winkte.
Da war sie plötzlich glücklich. Sie hob die Hand und winkte zurück, trug das Glück in ihrem Herzen davon. Es war ein kleines Glück, entstanden nur, weil jemand sie gegrüßt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte ihr jemand gewunken, hatte ihr zu essen und zu trinken gegeben, hatte ihr Kleid getrocknet. Hatte sie gegrüßt und gewunken.
Das Mädchen kam zu einem Brunnen und beugte sich darüber, um ihr Gesicht in der Wasseroberfläche zu betrachten. Sie sah ein schmales Oval, große dunkle Augen, die ein wenig hervorstanden, eine gerade Nase, einen Mund, der nicht zu üppig und nicht zu schmal war. Sie versuchte zu lächeln, tat das Gleiche wie die Huren, wenn ein Freier sie ansah. Sie verzog die Lippen und öffnete die Zähne ein wenig. Doch sie sah kein lächelndes Mädchen, sondern nur eine Fratze.
Da nahm sie einen Stein, warf ihn ins Wasser, sodass ihr Bild sich in viele kleine Wellen auflöste.
Bald hatte sie das Pfarrhaus, das sich eng an eine kleine Kirche schmiegte, erreicht. Es war – gottlob – eine andere Kirche als die, in die sie manchmal mit ihrer Mutter gegangen war. Ihre Mutter hatte gesagt, sie wären katholisch. Dies aber war eine lutherische Kirche, wie ihr der Fischer erzählt hatte.
Das Mädchen klopfte an der Tür, und es dauerte nicht lange, bis der Pfarrer ihr auftat.
«Ich bin gekommen, um Euch den Haushalt zu führen», sagte sie schlicht. «Der Fischer Johann schickt mich.»
Der Pfarrer riss erstaunt die Augen auf. «Johann schickt dich?»
Sie nickte.
«Woher kennst du ihn? Hast du
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