Galgentochter
sich: «Schlachtabfälle!! Igitt!!» Er holte seine Geldbörse hervor und legte Hella einen halben Gulden auf den Tisch. «Zurück zum Beutel. Erzählt, woher ihr ihn habt. Ich will alles wissen. Anschließend werden wir sehen, was darinnen ist. Oder habt ihr etwa schon …?»
Gustelies und Hella senkten die Köpfe.
«Aha! Ich hätte es mir denken können. So, und nun die Geschichte!»
Gustelies begann, Hella fiel ihr nach einem halben Satz ins Wort, dann sprach wieder Gustelies, fügte Dinge ein, die, wie ihr schien, Hella vergessen hatte, dann korrigierte Hella, und Gustelies widersprach, und am Ende wusste der Richter nicht nur, wie der Beutel auf den Tisch ins Malefizamt kam, sondern kannte obendrein das Aussehen eines alten Weibes samt dessen möglichem Lebenslauf und die vermutete Geschichte eines kleinen rotznasigen Jungen.
Am Anfang hatte Richter Blettner dem Schreiber ein Zeichen gemacht, jedes Wort der Frauen mitzuschreiben, doch schon nach wenigen Augenblicken hatte der Mann aufgegeben, die Feder aus der Hand gelegt und offenen Mundes gelauscht.
«So, jetzt kennen wir also die Geschichte des Beutels samt der Geschichte der Kuh, von der das Leder stammt, aber was darinnen ist, wissen wir noch nicht. Schreiber, öffne den Beutel und notiere den Inhalt.»
«Jawohl, Herr Richter!»
Der Schreiber sprang auf, öffnete den Beutel, der mit einer Schnur zusammengehalten war, und schüttete ihn auf dem Tisch aus.
Der Richter schrak zurück, als eine Handvoll Krumen unkenntlicher Abstammung auf seinem Tisch landete.
«Ist das alles?»
Der Schreiber schüttelte den Beutel und schüttelte einen Kamm, dem drei Zinken fehlten, und ein benutztes Nasentuch heraus, das der Richter angeekelt betrachtete.
«Schreiber, hast du notiert? Ein Rotztuch mit Inhalt und ein Kamm weniger drei Zinken!»
Der Schreiber nickte, und der Richter sah seine Frau an.
«Du bist nicht gekommen, um mir dieses Zeug da zu bringen. Was habt ihr beide noch ausgebrütet? Streitet nicht ab, ich sehe es euch an.»
Gustelies lächelte, griff in ihre Rocktasche und legte mit wichtiger Miene das Papier auf den Tisch.
Der Richter nahm es, betrachtete es von allen Seiten, so wie die Frauen es vorhin getan hatten.
«Das Siegel ist gebrochen», sagte er und musterte seine Schwiegermutter streng.
«Auf dem Brief stand kein Empfänger. Also dachten wir, ein jeder, der das Schreiben findet, darf es öffnen.»
«So? Dachtet ihr?» Der Richter verdrehte die Augen, sah zur Decke empor und stöhnte: «Herrgott im Himmel, warum hast du den Weibern etwas gegeben, das diese für Verstand halten?»
Der Schreiber lachte, und der Richter schrie leise auf, denn Hella hatte ihn vors Schienenbein getreten.
«Au! Und ihr wisst natürlich auch schon, was in dem Schreiben steht, nicht wahr?»
Die beiden Frauen nickten, und der Richter faltete kopfschüttelnd den Bogen auseinander und las. Dann ließ er das Papier sinken, kratzte sich am Kinn und machte «Hmmm!». Eine Weile sah er ins Leere. Der Schreiber scharrte mit den Füßen, Hella und Gustelies saßen mit gefalteten Händen und sahen dem Richter beim Denken zu.
«Hmm!», machte er nach einer Weile erneut. «Da hat jemand den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.» Er wedelte mit dem Papier durch die Luft und stellte fest: «Der Gewandschneider scheint mir ein ganz und gar kluger oder ein ganz und gar dummer Mensch gewesen zu sein.»
«Was soll ich notieren?», fragte der Schreiber.
Der Richter sah durch ihn hindurch. «Noch nichts, Schreiber. Im Augenblick noch nichts. Ich muss nachdenken.»
«In der Schenke?», fragte Hella. «Dann kommst du also nicht zum Mittagessen?»
Der Richter sah auch durch sie hindurch und nahm seinen Umhang, der hinter der Tür an einem Haken hing. «Später», brummte er, riss die Tür auf und wollte hinaus, dann überlegte er es sich anders, küsste seine Frau auf den Mund, die Schwiegermutter auf die Wange, trat zumSchreiber, blieb abrupt stehen, schüttelte den Kopf, kratzte sich am Kinn und stürzte nun doch hinaus.
Der Schreiber seufzte und räumte das Schreibzeug weg. Jetzt der einzige Mann im Raum, sagte er: «Ihr habt gesehen, der Herr Richter darf nicht gestört werden. Geht nun auch. Er wird Euch rufen, wenn er Euch noch braucht.»
«Das dachten wir uns», teilte ihm Gustelies hoheitsvoll mit und wandte sich an Hella. «Komm, wir haben noch einen Weg vor uns.»
Als sie vor dem Römer standen, fragte Hella: «Und jetzt? Was hast du vor?»
«Wir gehen
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