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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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musste nicht lange überlegen: «Ich würde ihn behalten.»
    «Ich nicht!», widersprach Gustelies. «Was soll ich mit einem Lederbeutel, wenn ich in der Vorstadt lebe? Die Leute hier sind arm, bis auf den Henker und den Stöcker natürlich. Sie haben ja nichts, was sie in den Beutel tun könnten. Hätte ich ihn gefunden, so würde ich ihn verkaufen wollen.»
    «Hm. Das klingt einleuchtend. Was wäre er dir wert, dieser Beutel?»
    «Ich weiß nicht genau. Ein Viertelgulden wäre viel dafür, oder nicht?» Hella sah nachdenklich zurück zu den Katen. Ganz hinten lief das alte Weib, bückte sich gerade nach einem dürren Zweiglein. «Die Alte! Sie wird uns zu dem Beutel führen.» Dann packte sie Gustelies an der Hand und rannte mit ihr los.
    «Na, Städterinnen, ist noch immer Nächstenliebe in Euch?», wollte die Alte wissen, als Hella und Gustelies schnaufend vor ihr hielten.
    Gustelies, ganz rot im Gesicht, rang nach Atem, schlug sich die Hand vor die Brust und lamentierte leise: «Wie komme ich dazu, wie ein Auerochse durch die Landschaft zu galoppieren? Ich bin die Haushälterin eines Priesters. Am Herd sollte ich stehen, jawohl, und einen guten Braten begießen.»
    Sie schimpfte leise, aber Hella und die Alte hörten sie doch und lächelten.
    «Greisin, du musst uns helfen. Es soll dein Schade nicht sein. Wir suchen den Lederbeutel.»
    «Den Lederbeutel? Soso, na ja. Was ist er Euch wert, dieser Beutel?»
    Hella kramte in ihrer Geldkatze. «Einen Achtelgulden.»
    «Einen Achtelgulden? Dass ich nicht lache!», sprach die Alte und lachte tatsächlich so laut, dass die Kiepe auf ihrem Rücken wackelte. «Einen Viertelgulden ist der Beutel wert. Mindestens.»
    «Ich zahle einen Achtelgulden und zwei Groschen. Mehr nicht. Das ist mein letztes Gebot.»
    «Einen Achtelgulden und eine Frankfurter Mark dazu», verlangte die Alte. «Es ist bald Ostern, junge Frau.»
    Gustelies betrachtete die Alte abschätzend. «Einen Achtelgulden und eine Frankfurter Mark, wenn du es schaffst, den Beutel bis zum Mittag aufzutreiben. Wir werden dort am Mainufer warten. Sobald die Glocke läutet, gehen wir, und du kriegst keinen roten Heller.»
    Mit diesen Worten wandte sich Gustelies ab und stapfte davon. Hella folgte ihr. «Und wenn sie nun nicht kommt? Warum warst du so grob zu ihr?»
    Gustelies lächelte. «Sie wird kommen. Es ist das Geschäft ihres Lebens. Du wirst sehen, gleich kommt Bewegung in die Vorstadt, dass die Katen wackeln.»
    Gustelies hatte einen Stein entdeckt, breitete ihren Umhang darüber, setzte sich und hielt ihr Gesicht in die Sonne. «Es ist Frühling», schwärmte sie. «Die Bäume werden grün, die Vögel singen, die Sonne scheint. Wunderbar. Hier halte ich es aus.»
    «Du tust gerade so, als wäre Sonntag», schalt Hella. «Wir müssen die Katen im Blick behalten.»
    «Gar nichts müssen wir. Die Gesetze der Vorstadt wirken auch, ohne dass wir sie beobachten. Wirst sehen, die Alte wird noch vor Mittag jemanden herschicken. Und jetzt lass mich ein wenig ausruhen. Hast mich den halben Vormittag wie ein Huhn durch Frankfurt gescheucht.»
    Gustelies schloss die Augen und tat damit kund, dass sie für weitere Gespräche nicht zur Verfügung stand. Hella aber war viel zu unruhig, um mit geschlossenen Augen der Dinge zu harren, die da kommen oder nicht kommen sollten.
    Sie lief am Ufer entlang und tat, als wäre sie ganz und gar damit beschäftigt, Steine in den Main zu werfen. Als sie sah, dass ein kleiner Junge mit verdrecktem Kittel und ohne Schuhe zu ihnen gelaufen kam, stieß sie ihre Mutter leicht an: «Da kommt wer.»
    Gustelies öffnete die Augen, reckte und streckte sich. «Na, mein Guter», sagte sie, als der Bub vor ihr stand. «Hast du mir etwas mitgebracht?»
    Der Junge nickte, holte den Lederbeutel hinter seinem Rücken hervor und hielt ihn Gustelies hin. Als sie danach greifen wollte, sprang er einen Schritt zurück.
    «Erst das Geld», stammelte er und sah sich nach den Katen um. Dort, neben der letzten, stand die Alte mit dem Reisigkorb.
    Gustelies lachte, während ihre Tochter in ihrem Geldbeutelherumkramte. «Heinz wird mich fragen, wo das Wirtschaftsgeld geblieben ist», jammerte Hella. «Ich kann ihm ja schlecht erzählen, dass wir Beweismittel in der Vorstadt gekauft haben.»
    «Doch, das kannst du!», bestimmte Gustelies, nahm ihrer Tochter das Geld aus den Fingern und drückte es dem Jungen in die Hand. Gleichzeitig hielt sie ihn mit der anderen im Nacken fest.
    «Jetzt den Beutel.»
    Das Kind

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