Galgentochter
schon wieder, wischte sich mit dem Unterarm die Pastetenkrümel vom Mund. «Ihr wisst schon, dass ich kein Priester bin, dem die Leute beichten?»
«Also: Was weißt du?»
Die Geldwechslerin stieß ihre Freundin Gustelies in die Seite und antwortete, nun ernst: «Der alte Voss war ein Bock, wie er im Buche steht. Sah er einen Rock, fing er an zu sabbern. Er hielt sich ohnehin für die Krone der Schöpfung, und wann immer ich mit ihm zu tun hatte, faltete ich die Hände und bat: Herr, wirf Hirn vom Himmel. Vergeblich natürlich, denn Gott ist ja auch ein Mann.»
«Zur Sache, Jutta.»
«Wo war ich? Ach ja. Die Magd war ein dummes Geschöpf, hatte Augen wie ein Kalb und einen Busen, mit dem sie ein ganzes Findelhaus hätte nähren können. Die Vossin selbst, heißt es, hätte das Mädchen ins Bett ihres Mannes geschickt, um ihre Ruhe vor ihm zu haben. Irgendwann wurde sie schwanger, und Voss schickte sie nach Bonames ins Haus seines Bruders, der gerade Witwer geworden war. Er gab ihr drei Ballen bestes Tuch und einen Ballen Spitze als Aussteuer dazu. Die Alte legte noch ein schmales Säckchen Gulden obendrauf, und alle waren glücklich.»
«Dann stimmt es also nicht, dass der Vater des Mädchens den Gewandschneider wegen Ehebruchs anzeigen wollte?»
«Ach, woher denn? Dem dummen Kind konnte nichts Besseres passieren! Sie muss gewusst haben, was Männer im Bett wünschen. Vom Bruder des Gewandschneiders hörte ich, dass er sie mit Blumen umkränzt und ihr schöne Kleider kauft.»
Hella zog die Stirn in Falten. «Ich verstehe aber nicht, warum die Vossin das Mädchen zu ihrem Mann ins Bett gesteckt hat.»
Die beiden älteren Frauen sahen sich an und kicherten. «Mein Liebes», erklärte Gustelies und tätschelte ihrer Tochter die Hand. «Der Beischlaf nur zum Vergnügen ist eine große Sünde. So steht es in der Schrift, so predigt auch Pater Nau. Nur wenn er der Zeugung von Nachkommen dient, ist er frei von Schuld. Nun, der Voss hätte am liebsten jeden Tag Nachkommen gezeugt. Das ist nicht möglich, das Weib ist nicht danach gebaut. Außerdem war die Vossin schon über der Zeit. Wohin also mit der Lust? Wo das Weib, welches die Sünde des alten Bocks trägt? Da kam die Magd gerade recht. Sollte sie Schuld auf sich laden! Die Vossin selbst wollte ihr Seelenheil nicht verspielen.»
«Ganz schön berechnend», stellte Hella fest.
«Richtig. Und weil der Alte sie am Ende beinahe täglich schlug, wird wohl ihre Trauer über den Verlust auch nicht so groß sein.»
«Warum aber hat sich dann der Gewandschneider umgebracht?», überlegte Hella laut.
«Ach?», fragte die Hintererin nach. «Umgebracht hat er sich also? Nun, damit hat er seiner Frau am Ende den Todesstoß versetzt. Klug, der Mann. Na ja, Männer sind von Natur aus nicht klug. Ich wette, ein Weib hat ihm diesen Plan eingegeben. Aber warum hat er sich denn nun umgebracht?»
Hella und Gustelies zuckten mit den Schultern. «Wegen der Magd, seiner Schulden und weil er an der Franzosenkrankheit gelitten hat.»
«Hmm», überlegte die Hintererin, goss Milch aus einer Kanne in die Becher, nahm sich ihren, trank mit weit zurückgelegtem Kopf und leckte sich dann genüsslich den Milchbart von der Oberlippe. «Das ergibt keinen Sinn. Fromm war der Gewandschneider nicht gerade.»
«Die Schulden? Stand sein Geschäft vor dem Aus?»
Jutta Hinterer zuckte mit den Achseln. «Gehört habe ich, dass er sich Geld geliehen hat. Als Sicherheit hat er die Werkstatt und Haus und Hof dafür gegeben. Mag sein, dass er die Schulden nicht zurückzahlen konnte und alsbald ein armer Schlucker geworden wäre und vor der ganzen Stadt beschämt.»
«Von wem lieh er sich das Geld?», fragte Gustelies.
«Ich habe keine Ahnung. Gefragt habe ich Isaak von Goldstein, den Geldleiher aus der Judengasse. Wir sind befreundet, helfen einander, wann immer es geht. Jedenfalls, dieser Isaak, ein schöner Mann übrigens, dieser Isaak weiß nichts davon, dass der Voss in der Judengasse war. Nicht bei ihm, nicht bei den anderen Geldleihern.»
«Hm. Heißt das, er hat sich vielleicht gar kein Geld geliehen?»
«O doch. Da bin ich mir ganz sicher. Er war mittellos, ist sogar zu mir gekommen, um zu fragen, ob ich wen wüsste.»
«Was hast du ihm gesagt?»
«In die Judengasse habe ich ihn geschickt. Und davor, riet ich ihm, solle er zur Zunft gehen. Die Zunft lässt einen der Ihren nicht im Stich. Ich rate euch, meine Lieben, geht zu Amedick. Der müsste mehr wissen.»
«Obwohl die beiden
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