Galgentochter
etwas, das ein Lächeln hätte sein können. Doch es war nur eine Fratze.
«Du bist nicht meine Gattin. Du bist eine Dienstmagd. Eine solche darf, nein, was sage ich, MUSS alle Räume betreten, um ihre Aufgaben zu erfüllen.»
Das Mädchen nickte, wollte gleich gehen, doch der Pfarrer hielt sie auf. «Nicht jetzt. Nachher. Jetzt beginnt dein Unterricht.»
Er nahm ein Buch vom Tisch, blätterte darin. Dann sagte er: «Hör gut zu und präge dir diese Sätze tief ein: «Das Weib verhält sich zum Manne wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen. Sprich mir nach.»
«Das Weib verhält sich zum Manne wie … wie … das Unvollkommene zum Defekten.»
Sie hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da sauste eine Peitsche durch die Luft, traf sie auf der Wange. Das Mädchen zuckte zusammen, fühlte, wie die Haut aufplatzte und ihr das Blut über das Gesicht lief. Sie zog die Schultern zusammen, drückte das Kinn auf die Brust und wimmerte leise.
Der Pfarrer stand auf, kam, die Peitsche noch immer in der Hand, zu dem Mädchen, griff ihr unters Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. «Das Weib», sprach er, und das Mädchen sah, wie seine Augen einen seltsam lodernden Glanz bekamen, «das Weib verhält sich zum Manne wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen.»
Das Mädchen starrte ihn an, wollte seinen Blick zwingen wie den Blick des Gewandschneiders, doch es gelang ihr nicht.
«Sprich mir nach!»
Die Hand, die ihr Kinn hielt, drückte fester zu. «Wie soll ich Euch nachsprechen, wenn ich doch unvollkommen bin?», fragte sie.
Der Mann presste ihren Kiefer so fest zusammen, dass das Mädchen vermeinte, die Knochen knacken zu hören.
«Ich werde dich lehren, was das Weib ist und was es darf. Ich werde dir Gehorsam beibringen. Gehorsam und Gottesliebe. Auf den Weg der Tugend werde ich dich zurückführen, damit der Herr eine Freude an dir hat. Sprich mir nach!»
Langsam wiederholte das Mädchen den Satz. Der Pfarrer ließ sie los, ging zurück zu seinem Arbeitstisch, setzte sich.
«Nun erkläre mir diesen Satz!», forderte er.
Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe. «Das … das Weib ist da, um dem Mann die Lust zu stillen», stammelte sie schließlich.
Wieder sauste die Peitsche durch die Luft und traf das Mädchen, das sich rasch geduckt hatte, am Rücken.
Der Pfarrer beugte sich vor, das Mädchen sah wieder den lodernden Glanz in seinen Augen. «Da spricht der Teufel aus dir, Weib!», zischte er, knallte mit der Peitsche neben ihren Körper auf den Boden. «Knie nieder», schrie er. «Knie dich hin, Hure!»
Das Mädchen tat wie ihm geheißen.
«Der selige Papst Pius II. sagt: ‹Wenn du eine Frau siehst, denke, es sei der Teufel! Sie ist eine Art Hölle!› Der Mann wusste, was er sagte, obgleich er ein Katholik war. Aber auch unser guter Lehrer Martin Luther sagt: ‹Die größteEhre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden.› Was also ist ein Weib?»
Das Mädchen wagte es, den Blick zu heben, da knallte die Peitsche wieder und traf ihren empfindlichen Nacken. Sie schrie auf vor Schmerz.
«Was ist das Weib?», schrie der Priester.
«Unvollkommen. Defekt. Eine Art Hölle», stieß das Mädchen hervor.
«Was muss es deshalb tun?», kreischte der Pfarrer. «Sag, was muss das Weib tun?»
Das Mädchen schwieg. Alles, was sie im Hurenhaus gelernt hatte, schien in diesem Hause nicht zu gelten. Sich schön machen für den Mann, das Mieder lösen, die Lippen lecken, ihn streicheln, mit Worten und Händen liebkosen.
«Ihm gehorchen?», fragte sie leise.
«Richtig. Der Apostel Paulus sagt: ‹Wie der Mann Gottes Abbild und sein Abglanz ist, so ist das Weib des Mannes Abglanz.› Im Paulusbrief an die Epheser steht geschrieben: ‹Aber, wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen.› Hast du verstanden, Kebse?»
Das Mädchen nickte. «Das Weib sei dem Manne untertan, denn er ist der Glanz und das Abbild Gottes.»
Der Priester nickte. «Womit bringen die Frauen Unheil über die Welt?»
Das Mädchen schwieg. Die Mutter hatte Unglück über sie gebracht. Die Hurenwirtin hatte Unglück über die Mutter gebracht. Und der Henker als städtischer Steuereintreiber hatte Unglück über die Hurenwirtin gebracht, weil er immer mehr Geld wollte.
«Na? Ich höre?»
Das Mädchen atmete schneller, suchte nach einer Antwort,doch da war nichts. Was taten Frauen Schlechtes? Sie führten laute Reden. Aber
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