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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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nicht zum Besten miteinander standen?»
    «Gerade deswegen. Ihr wisst doch, wie Männer sind. Sie wetteifern so lange, bis einer von ihnen auf der Strecke bleibt. Von den Feinden eines Mannes erfährst du mehr Wissenswertes als von seinen Freunden. Bei Frauen ist es umgekehrt. Da ist die beste Freundin stets die erste Verräterin.»
    Hella verzog den Mund, als sie das hörte.
    «Du glaubst mir nicht, Kind, nicht wahr?»
    Hella schüttelte den Kopf.
    «Nun, dann wollen wir hoffen, dass du mir nie im Leben recht geben musst.»
    Die Glocke der nahen Liebfrauenkirche verkündete die zweite Nachmittagsstunde. Gustelies stand auf: «Ich muss gehen. Schlimm genug, dass der Pater erst jetzt sein Mittagsmahl bekommt. Für das Abendbrot muss ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen, sonst erwirkt er für mich bei seinem Herrn hundert Jahre Fegefeuer mehr. Ich glaube, ein Nussmus wird seinen Zorn lindern.»
    Jutta Hinterer horchte auf. «Nussmus?»
    «Natürlich. Du nimmst zwei bis drei Hände voll Haselnüsse und zerstößt sie fein im Mörser. Dann nimmst du einen Topf mit süßer Sahne, fett und sämig, gibst Semmelbrösel von Weißmehl dazu und lässt alles schön köcheln. Gib reichlich Butter hinzu und rühre zwei Eidotter hinein. Das Eiweiß schlage zu Schaum. Dann nimm den Topf vom Herd, gib zwei, drei Fädchen Safran hinein, damit das Mus schön gelb wird. Zum Schluss hebe das geschlagene Eiweiß darunter. Fertig ist das Nussmus. Es verleiht gute Stimmung und verhilft zu einem ruhigen Nachtschlaf.»
    «Hmm!», machte die Geldwechslerin. «Nun sitze ichdoch den ganzen Tag in meiner Stube und habe wenig Gelegenheit zum Einkaufen und Nüssezerstoßen und Kochen. Aber Nussmus habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Ich wette, bekäme ich mal wieder eine Schüssel davon, so lockert das Mus meine Stimme, und ich kann sehr viel freundlicher mit meinen Kunden plaudern.»
    Hella lächelte. «Mir geht es auch so», teilte sie mit. «Den ganzen Tag bin ich auf den Beinen. Der Meine hat heute kein Mittagsmahl bekommen, und ich fürchte, eine Pastete macht ihn nicht satt. Er muss Recht sprechen, und das ist nicht einfach. Mit knurrendem Magen geht das schlecht. Am Ende schadet er der Stadt noch, nur weil er zu Mittag nichts und am Abend nur eine dürre Pastete bekommen hat. Ein Nussmus würde helfen, ihn gut Recht sprechen zu lassen. Die Geschicke der Stadt verlangen sozusagen danach.»
    Gustelies zog ein mürrisches Gesicht und betrachtete die beiden Frauen. Schließlich seufzte sie, lachte dann und sagte: «Gut. Ich mache das Nussmus. Du, Hella, hilfst mir dabei und zerstößt die Nüsse. Du, Jutta, kannst dir am Nachmittag deinen Teil holen.»
    Die Geldwechslerin rieb sich den Bauch und schmatzte voller Vorfreude.
    «Sagte ich schon, dass ich am Nachmittag beim Zunftmeister Amedick vorsprechen werde? Ich bin sicher, die Vorfreude auf das Nussmus löst mir die Zunge, und ich werde ihn zum Reden bringen. Schließlich ist er auch nur ein Mann.»

Kapitel 12
    «Komm in mein Arbeitszimmer, wenn du die Küche in Ordnung gebracht hast», hatte der Pfarrer gesagt. Das Mädchen hatte das Geschirr gespült und die Küche aufgeräumt. Dann hatte sie nach neuer Arbeit Ausschau gehalten, aber es gab nichts mehr zu tun. Also stieg sie die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sie zaghaft an der Tür des Arbeitszimmers klopfte.
    «Herein», rief der Pfarrer. Das Mädchen klinkte die Tür auf, trat ein, blieb aber einen Schritt hinter der Schwelle stehen.
    Der Pfarrer saß hinter seinem Arbeitstisch und schrieb mit der Gänsefeder in ein Buch. Eine einzelne Kerze erhellte den Raum, warf weiche Schatten an die Wände und bestäubte den Kopf des Pfarrers mit einer goldenen Schicht.
    Das Mädchen atmete tief ein und sah sich vorsichtig um. Der Raum war karg, die geweißten Wände ohne Schmuck, der Boden bestand aus einfachen Dielenbrettern. Die Bank unter dem Fenster hatte keine Kissen, die beiden Stühle keine Lehnen.
    Der Pfarrer hatte zu Ende geschrieben. Er kippte Löschsand über das Buch und stellte die Feder in das Tintenfass, bevor er sich zu ihr wandte. «Hast du deine Aufgaben erfüllt?»
    Das Mädchen nickte.
    «Die Küche ist sauber? Die Eimer für morgen mit Wasser gefüllt? Die Holzscheite für den Herd vom Holzstapel geholt? Mein Bett aufgeschüttelt?»
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Ich habe das Bett nicht aufgeschüttelt. Ich wusste nicht, dass ich Eure Räume betreten darf.»
    Der Pfarrer verzog das Gesicht zu

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