Galgentochter
geschlagen. Die Schläge hier aber, davon war sie überzeugt, trieben das Schlechte aus ihr, trieben heraus, was noch vom Hurenhaus in ihr war. Der Pfarrer mochte ein Eiferer sein, doch das Mädchen hatte schon so oft gehört, dass dem Schlechten im Menschen am besten mit dem Knüppel beizukommen sei. Sie wollte keine Huresein. Niemals werden wie die Mutter. Bei Gott nicht. Und wenn die Schläge der Preis dafür waren, so zahlte sie ihn gern. Vielleicht gelang es am Ende doch, aus ihr ein anständiges Mädchen zu machen? Alles würde sie geben, um nicht wie die Mutter zu werden.
Das Mädchen stand jeden Morgen beim ersten Hahnenschrei auf. Sie stellte sich für einige Augenblicke ans offene Fenster, atmete die kühle Morgenluft ein und sah zu, wie sich die Sonne aus ihrem Bett erhob und den Hügel emporkroch.
Dann ging sie hinunter in die Küche, machte Feuer im Herd und holte Wasser vom Brunnen. Danach kochte sie Hafergrütze oder Getreidebrei. Nach dem Frühstück erledigte sie Einkäufe, wusch die Wäsche, scheuerte die Kammern und bereitete das Mittagsmahl zu.
Der Nachmittag gehörte ihr. Nein, sie hatte nicht frei, sondern machte sich im Pfarrgärtchen zu schaffen. Kräuterbeete hatte sie angelegt, und die Nachbarin, eine Hebamme, unterwies sie in der Kräuterkunde, erklärte ihr die Würz- und Heilpflanzen, lehrte sie Tränke brauen und Salben mischen. Das Mädchen genoss die Zeit im Gärtchen. Sie hegte und pflegte die Pflanzen, sprach mit ihnen, streichelte die Blätter und Knospen. Es war, als suchte sie in den Pflanzen die Freunde, die sie im Leben niemals gefunden hatte. Es war, als liebte sie die Pflanzen mehr, als sie es jemals bei einem Menschen vermocht hatte.
Was waren das auch für Menschen, denen sie bislang begegnet war? Die Mutter, die Hurenmeisterin, die Freier, der Pfarrer. Ein Einziger nur war freundlich zu ihr gewesen. Der Fischer. Ihn mied sie, schon längst davon überzeugt, dass ihre Verdorbenheit ein Unglück für jeden war, der mit ihr in Berührung kam. Jeden Abend bestätigte der Pfarrerihr, dass sie dumm, faul, verlogen und verdorben war und dass es einer straffen Zucht bedurfte, sie auf den Weg der Tugend zurückzuführen. Das Mädchen glaubte, sie brächte auch dem Fischer Unglück, wenn sie ihn traf. Deshalb mied sie ihn, und wenn er ihr begegnete, senkte sie den Kopf, ohne seinen Gruß zu erwidern.
Nur bei den Pflanzen kannte sie keine Furcht. Ihnen vertraute sie an, was sie quälte. Einmal hatte sie ein Veilchen am Rande des Gartens gefunden. Sie hatte sich gebückt, die Blätter genau betrachtet. Tränen waren in ihre Augen gestiegen ob der Schönheit der kleinen Blume. Sie hatte sie gepflückt, war mit den Blütenblättern über ihr Gesicht gefahren. Weich und ganz sanft hatte sich das angefühlt, wie der Frühlingswind. Schön wie ein Streicheln. Sie hatte gar nicht mehr aufhören können zu weinen und sich selbst nicht dabei verstanden, denn sie hatte seit Jahren nicht mehr geweint. Plötzlich rührte sie vieles, was sie sah. Das Kätzchen, das schnurrend um ihre Beine strich. Der Duft des Thymians, der, in kleine Sträuße gebunden, in der Küche hing. Ob das wohl der erste Schritt zur Anständigkeit war? Hatten die Schläge des Pfarrers, die schon so viel Schlechtes aus ihrem Leib gedroschen hatten, ihr ein Herz für andere Kreaturen geschenkt?
Manchmal genügte ein Anblick oder ein Wort, um sie zu Tränen zu bringen. Dem Pfarrer gefiel das. «Du bist auf dem Weg der Besserung», erklärte er mit Stolz. «Deine Tränen zeugen davon, dass du dein sündiges Leben bereust.»
Dann begann die Übelkeit. Kaum war das Mädchen aus dem Bett aufgestanden, musste sie würgen. Manchmal schaffte sie es bis in den Hof, manchmal erbrach sie sich gleich in der Kammer.
«Das ist der Teufel, der in deinen Eingeweiden sitzt»,wusste der Pfarrer. «Ich muss meine Zucht verstärken, damit er verschwindet.»
Am Abend ließ er sie in sein Arbeitszimmer kommen. Diesmal befahl er ihr, sie möge die Kleider ablegen, damit der Teufel unter den Schlägen aus ihren Körperöffnungen fahren könne. Er riss das Fenster auf, öffnete auch die Tür, damit der Teufel sogleich entfliehen konnte. Seine Schläge waren noch härter, da kein Stoff deren Wucht abbremste. Als er fertig war, betupfte er ihre Wunden mit Kamillensud, den sie selbst gebraut hatte.
Dann öffnete er eine Truhe und holte eine Art Mieder oder Leibchen daraus hervor, das ganz aus Leder gearbeitet und zwischen den Beinen
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