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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Ich bin spät dran, muss noch einkaufen.»
    «Ach was, das geht doch schnell. Nur ein paar Augenblicke, dann habe ich Eure Maße. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Ist es nicht so?»
    Mit einem Seufzer trat Gustelies in die Werkstatt. Als die Meisterin nach dem Maßband suchte, betastete Gustelies den Umhang, den sie gerade trug. «Sie hat recht», murmelte sie. «Ein neuer Umhang ist schon lange fällig. Diesen trage ich nun schon das dritte Jahr. Da werde ich heute für Pater Nau Wildbraten machen, um ihn in gute Laune zu versetzen. Manchmal sitzt der Kerl auf den Gulden.»
    «Was habt Ihr gesagt?», wollte die Vossin wissen.
    «Oh, nichts. Ich habe laut gedacht. Gefragt habe ich mich, was wohl das polnische Tuch vom englischen Tuch unterscheidet.»
    Die Vossin kam näher. «Das kann ich Euch leicht sagen. Das englische Tuch ist glatter und ein kleines bisschen fester, während das polnische anschmiegsamer ist, dafür aber leichter knittert.»
    «Aber findet Ihr nicht auch, dass der Unterschied kaum zu merken ist?»
    Die Gewandschneiderin wiegte den Kopf. «Auf den erstenBlick nicht. Aber spätestens nach der ersten Wäsche stellt sich heraus, woher der Stoff stammt. Ihr dürft den Umhang nicht der Wäscherin geben. Bringt ihn zu mir, wenn es so weit ist. Ich werde ihn Euch wieder so richten, dass er aussieht wie neu.»
    «Euer Mann hat gern mit diesem Stoff gearbeitet?», wollte Gustelies weiter wissen.
    Die Vossin, ganz vertieft darin, das Maßband um Gustelies’ mächtigen Busen zu spannen, erwiderte: «Am Anfang schon, doch dann hat Amedick ihm verboten, den Stoff zu verarbeiten. Deshalb liegt das halbe Lager noch voll damit.»
    «Ach!», entfuhr es Gustelies. «Wie es der Zufall will, traf ich eben den Zunftmeister und zeigte ihm mein Stoffstück. Er sagte, es handele sich um Tuch aus England.»
    Die Vossin schnaubte und sah Gustelies an. Es war ihr anzumerken, dass sie erregt war. Der Hals war mit einem Mal von roten Flecken bedeckt, die Augen flackerten unruhig.
    Gustelies legte ihr eine Hand auf den Arm und sagte leise: «Ihr habt es schwer, Vossin. Jetzt, wo der Mann tot ist und die Zukunft der Werkstatt ungewiss.»
    «Amedick. Es ist alles Amedicks Schuld», presste die Vossin hervor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Er war es, der dem Meinen verboten hat   …»
    Sie brach ab, biss sich auf die Lippe.
    «Was hat er dem Euren verboten?», wollte Gustelies wissen.
    Die Gewandschneiderin schüttelte den Kopf, rollte das Maßband zusammen. «Nächste Woche könnt Ihr kommen und den Umhang abholen. Falls noch Zierrat dran soll, können wir das dann besprechen. Nun muss ich mich eilen, gute Frau.»
    Gustelies spürte, dass die Vossin nichts mehr sagen würde. Also verabschiedete sie sich und ging.
    In der Stube der Geldwechslerin traf sie auf Hella. «Und?», fragte diese. «Hast du etwas herausbekommen?»
    Gustelies nickte. «Voss hat das polnische Tuch als das verkauft, was es war, während Amedick vorgibt, dass es sich um das teure englische Tuch handelt. Es scheint, Voss wollte bei dem Betrug nicht mitmachen. Die Vossin weiß viel, aber sie redet nicht.»
    «Heißt das, dass Amedick schuld ist am Niedergang der Gewandschneiderei Voss?»
    Gustelies nickte. «Ich fürchte ja. Und damit hat Amedick auch einen Grund gehabt, Voss zu töten.»
    Hella schüttelte den Kopf. «Armer Heinz», murmelte sie. «Ich fürchte, die Syndici müssen doch helfen.»

Kapitel 14
    Jeder Abend im Haus des Pfarrers verlief gleich. Nachdem das Mädchen das Abendmahl gerichtet und danach das Geschirr gespült und die Küche aufgeräumt hatte, rief der Pfarrer sie in sein Arbeitszimmer, um aus ihr ein rechtes Christenweib zu machen.
    Und an jedem Abend erzählte sie ihm von dem, was sie im Hurenhaus gesehen, gehört und erlebt hatte. Immer schlug er ihr danach die Verdorbenheit aus dem Leib, während sie das Vaterunser aufsagte.
    Ihr Rücken und ihr Gesäß waren meist mit blutigen Striemen übersät, doch ansonsten ließ es sich leben im Pfarrhaus. Neben den Züchtigungen begann der Pfarrer nach kurzer Zeit, dem Mädchen ein wenig Lesen und Schreiben beizubringen. «Der Weg zum Seelenheil», sagte er bedeutsam, «führt über das Wissen. Du sollst selbst die Bibel lesen können, um ein besserer Mensch zu werden.»
    Einmal nur war ihr der Gedanke gekommen, von hier wegzugehen. Doch sie ließ ihn fallen. Wohin sollte sie? Als Magd in die Stadt? Auch dort wurde sie womöglich von der Herrin

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