Galgentochter
Obwohl sie nichts außer einem Nachtkittel trug, spürte sie die Kälte nicht. Blut tropfte zwischen ihren Schenkel hervor und hinterließ eine rote Spur im Schnee.
Der Mond schien, überzog den Schnee mit flüssigem Silber, verlieh den hohen Tannen scharfkantige Schatten. Das Mädchen röchelte, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn, taumelte von Baum zu Baum, brach schließlich zusammen. Sie lag keuchend am Boden, tränkte den Schnee mit ihrem Blut. Noch immer spürte sie die Kälte nicht, denn in ihrem Inneren war alles erstarrt. Ihr Unterleib schmerzte, doch der Schmerz kam nicht allein von der Geburt. Ihr Körper schien noch immer mit dem Kind verbunden, und sie spürte seinen Tod in sich, spürte ihn als Ziehen und Zusammenpressen, spürte ihn als Wehen, die nichts als Schmerz und Trauer hervorbrachten. Es war, als hätte sie nicht nur gerade ein Kind geboren, sondern brächte nun überdies das Grauen zur Welt.
Es begann zu schneien. Erst fielen winzige, nadelspitze Flocken, dann Kristallgebilde, und schließlich trieb der Sturm die Flocken waagerecht vor sich her. Das Mädchen lag im Schnee, war bedeckt von Schnee, in dem ein Kranz aus Blut leuchtete. Sie hatte sich auf die Seite gerollt, hätte gern geweint oder geschrien, doch sie war ganz leer, konnte nur noch atmen. Ein und aus und ein und aus. Dannwurde es schwarz um sie herum, und sie spürte gar nichts mehr.
«Was ist los? Was soll das?», fragte die Hebamme den Pfarrer, der im Schnee neben dem kleinen Friedhof an einer frischen Grabstelle kniete und laut dem Herrn im Himmel Lieder sang.
«Was heult Ihr den Sturm an? Seid Ihr ein Wolf?»
Sie zog ihren Umhang enger um sich, trat abwechselnd mit den Füßen auf. «Geht ins Haus, Ihr holt Euch hier den Tod!»
Der Pfarrer sah sie mit glänzenden Augen an, hob die Hände zum Himmel und schrie: «Ich habe den Teufel besiegt. Ich habe den Satan getötet!»
Kopfschüttelnd zog die Hebamme den Pfarrer auf die Füße und zerrte ihn ins Pfarrhaus. In der Küche stieß sie den Mann auf die Bank und schürte das Feuer im Herd, um ihm einen heißen Trank zu brauen.
Der Mann saß da, sang noch immer Lieder zur Ehre Gottes.
Als die Hebamme fertig war und den Sud aus dem Kessel in einen Tonbecher füllte, Honig dazugab und umrührte, fuhr sie den Pfarrer an. «Wascht Euch die Hände. Ganz schwarz und mit Dreck beschmiert sind sie. Habt Ihr etwa neben dem Friedhof gegraben?»
Sie füllte warmes Wasser in eine Schüssel, legte ein Stück Seife daneben und ein Leinentuch. «Los jetzt.»
Der Pfarrer stand auf, trat so dicht auf die Hebamme zu, dass sie seinen Atem riechen konnte, und stieß rau flüsternd hervor: «Ich habe den Teufel getötet.»
«Ja. Ich weiß», erwiderte die resolute Frau und gab ihm einen Stoß. Sie hielt das Leinentuch, während er sichwusch. Doch plötzlich wurde sie blass. «Ihr habt Blut an den Händen!», schrie sie leise auf. «Was habt Ihr getan?»
«Ich sagte es schon: Ich habe den Teufel getötet.»
Die Hebamme starrte ihn einen Augenblick an, dann fragte sie drängend: «Wo ist das Mädchen?»
Der Pfarrer sah sie erstaunt an: «Welches Mädchen?»
«Das, welches in Eurem Hause lebt.»
Der Pfarrer schüttelte den Kopf, zog die Augenbrauen zusammen. «Sie trug den Teufel in sich», flüsterte er. «Er kam zwischen ihren Beinen zum Vorschein. So war das. Aber ich war schneller und habe den Teufel getötet.»
Die Hebamme ließ das Leinentuch fallen. «Wann war das? Wo war das? Wo ist das Mädchen jetzt?»
Der Pfarrer hob die Achseln, kicherte irre. «Den Teufel habe ich getötet.»
Da nahm die Hebamme den Mann bei den Schultern und schüttelte ihn: «Wo das Mädchen ist, will ich wissen!»
Der Pfarrer machte eine ausholende Handbewegung in Richtung Kirche. «In der Kirche habe ich den Teufel getötet. Er wollte das Gotteshaus für sich haben, aber ich war stärker als er.»
Die Hebamme ließ den Mann los, eilte hinüber in die Kirche. Vor dem Altar fand sie eine Decke, die mit Blut besudelt war. Dann erblickte sie die Blutspur, die bis zur Kirchentür reichte. Sie eilte in ihr Haus, zog sich einen Mantel und Schaffellstiefel an, steckte eine Fackel in Brand und versuchte, der Blutspur zu folgen. An manchen Stellen war sie bereits vom Schnee bedeckt, an anderen Stellen trat sie aus dem Schnee hervor wie ein düsteres Zeichen.
Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, hüllte die Landschaft in Dunkelheit. Nur das Licht der Fackel zuckte auf und
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