Galgentochter
niemals in Gruppen. Sie sprachen wenig, erledigten rasch ihre Geschäfte und verschwanden, so schnell es ging. Vor dem Haus zogen sie große Kapuzen über die Köpfe und hielten sich beim Gehen dicht an den Hauswänden.
Am Tag nach einem solchen Besuch gab es meist Fleisch, selten sogar ein Stück Kuchen.
Einmal blickte das Mädchen die Hebamme an, dann sah sie zur Truhe und hinüber zur Kellertür.
«Du willst wissen, was in der Truhe ist, nicht wahr?» Das Mädchen nickte. «Und wissen willst du auch, was die Städter hier bei mir in der Vorstadt wollen.»
Wieder nickte das Mädchen.
Die Hebamme sah sie an. «Es ist gut, dass du so wenig sprichst und dein Herz nicht auf der Zunge trägst. So wirst du niemandem erzählen, was du hier siehst. Aber alles wissen musst du auch nicht. Es ist manchmal besser, bestimmte Dinge nicht zu wissen.»
Das Frühjahr brachte wechselhaftes Wetter und Temperaturstürze, die der Hebamme schwer zu schaffen machten. Schon am frühen Morgen war ihr Gesicht rot, ihr Atem ging stoßweise. Sie musste sich oft ausruhen.
«Die Wetterumschwünge machen mich matt», klagte sie dem Mädchen. «Ich schaffe meine Arbeit kaum. Gottsei Dank sind in diesem Frühjahr nicht viele Säuglinge zu erwarten. Aber selbst das Gemüseputzen fällt mir schwer. Vom Garten ganz zu schweigen.»
Das Mädchen verstand, nahm das Gemüse, putzte es, kochte das Mittagessen, verschwand hernach im Garten. Die Hebamme mochte es nicht, wenn das Mädchen in der Nähe war, während sie ihre Tränke und Salben braute.
Doch in diesem Frühjahr rief sie das Mädchen aus dem Garten ins Haus. «Du musst mir helfen», sagte sie. «Mir ist schwindelig, die Knie ganz weich. Manchmal sehe ich schwarze Kreise vor meinen Augen.»
Das Mädchen nickte.
Die Hebamme wies auf einen Topf, der über der Feuerstelle leise brodelte. «Gieß das Wasser ab. Dann seih die Kräuter vorsichtig durch ein Tuch.»
Das Mädchen tat wie ihm geheißen. Der Sud roch würzig. Während sie mit Krug und Tuch hantierte, atmete sie die Dämpfe des Sudes ein. Plötzlich überfiel sie eine große Müdigkeit. Sie gähnte, ihre Bewegungen wurden langsamer.
«Mach das Fenster auf», forderte die Hebamme. «Und atme kräftig ein und aus. Dann trink einen Becher Wasser und arbeite weiter. Sobald dich die Müdigkeit überfällt, geh zum Fenster und atme.»
Das Mädchen nickte, doch der Müdigkeit konnte sie kaum Herr werden. Die Küche verschwamm vor ihren Augen, die Stimme der Hebamme drang zu ihr wie aus weiter Ferne. Nur den Krug und das Tuch sah sie überdeutlich. Die kleingeschnittenen Kräuter verwandelten sich vor ihren Augen in mannshohe Pflanzen. Sie roch herrliche Düfte. Überhaupt war ihr so leicht und froh zumute wie in ihrem ganzen Leben noch nicht. Kräftig atmete sie den Dampf über dem Sud ein, ließ sich treiben in eine Welt immergrünerPflanzen, die einen so lieblichen Geruch verströmten, dass das Mädchen am liebsten für immer in diesem Garten, der ihr wie das Paradies erschien, geblieben wäre.
Als sie mit schwerem Kopf erwachte, lag sie in der Kammer, welche die Hebamme für sie eingerichtet hatte. Ihr Schädel schmerzte, und vor ihren Augen tanzten bunte Kreise. In ihrem Magen rumorte es, und das Mädchen schaffte es gerade noch bis zur Schüssel, ehe sie sich erbrach.
Die Hebamme kam herein, tupfte ihr die Stirn mit einem Essiglappen ab, hieß sie ans Fenster treten und kräftig atmen.
«Es gibt Kräuter, die das Leben leichter machen», sagte sie leise. «Die Kräuter waren es, die dir die fröhliche Laune beschert und die Welt bunt gefärbt haben. Und die Kräuter sind es auch, die es dir jetzt übel ergehen lassen.» Das Mädchen sah die Hebamme an, hörte genau zu und nickte, damit diese weitersprach. Dabei lächelte sie, als wüsste sie genau, wovon die ältere Frau sprach.
«Es gibt viele Kräuter, die heilen können. Ein Übermaß davon kann zum Tode führen. Wer immer mit Kräutern hantiert, sollte die Menschen lieben.»
Die Hebamme brach ab, betrachtete das Mädchen, sprach eindringlich: «Wer sich auf den Umgang mit Kräutern versteht, ist Herr über Leben und Tod. Aber es lässt sich auch Geld damit verdienen. Geld, das wir dringend benötigen.»
Der Blick der Hebamme schweifte ab, drang durch das offene Fenster und verlor sich in der Ferne. «Es tut dem Menschen nicht gut, sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen. Man muss vorsichtig sein mit diesen Dingen. In jedem Kraut steckt ein Teil der göttlichen
Weitere Kostenlose Bücher