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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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wiederholte, was die Hebamme ihr aufgetragen hatte.
    «Wünsch ihr gute Besserung, der Hebamme», brummte der Henker, riss eine Tür auf und rief in einen dunklen Gang: «He, bring den Topf mit dem Menschenfett!» Das Mädchen erstarrte, und der Henker klopfte ihr lachend auf die Schulter: «Hältst besser den Mund über das, was du hier hörst und siehst.»

Kapitel 17
    Bei der nächsten Gerichtssitzung am darauffolgenden Donnerstag waren die Ratsbänke so dicht besetzt wie lange nicht mehr. Nur auf dem Platz, den die Gewandschneiderzunft innehatte, saß niemand.
    Richter Heinz Blettner legte die Fälle der letzten Woche vor. Eine Milchhändlerin hatte verdorbene Milch verkauft, ein Gerbergeselle hatte sich in eine Rauferei mit einem Gesellen der Färberzunft eingelassen, eine heimliche Dirne hatte einen verheirateten Mann verführt und eine Seidenstickerin ihre Nachbarin beleidigt. In allen Fällen stimmte der Rat den Urteilen des Richters zu. Die Milchhändlerin sollte einen Tag am Pranger verbringen, die beiden Raufburschen gestäupt, die Hure öffentlich ausgepeitscht werden, während der Hurenbock straffrei ausging, und die Seidenstickerin hatte sich bei der Nachbarin zu entschuldigen, und zwar öffentlich beim nächsten Gottesdienst. Der Schreiber stand hinter einem Pult und hatte das Strafenbuch der Stadt vor sich liegen. Sorgfältig trug er den Namen eines jeden Übeltäters ein, dann die Strafe, das Datum des Urteils und das Datum der Vollstreckung.
    Als er damit fertig war, sah er hoch. Der zweite Bürgermeister, der zuständig war für das Recht in der Stadt, erhob sich und bat um Aufmerksamkeit für den nächsten Fall, nämlich den Tod des Gewandschneiders Voss. Er nickte dem Vorsteher der Syndici zu, und der Mann trat nachvorn an das Pult. Noch einmal verlas er die Protokolle des Stadtmedicus, des Scharfrichters und des Richters Blettner, dann verlas er das von den Rechtsgelehrten verfasste Gutachten. «Alles in allem sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Todesursache nicht feststellbar ist. Es kann sich sowohl um Mord als auch um Selbstmord gehandelt haben.»
    Ein breites Grinsen zog sich über Richter Blettners Gesicht. Sieh einer an, dachte er zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust, die Gelehrten sind auch nicht schlauer als ich. Doch schon sprach der Zweite Bürgermeister ihn an. «Wie sollen wir nun in diesem Fall verfahren?»
    Der Richter erhob sich, sah rasch jedem einzelnen Ratsmitglied in die Augen, dann sagte er: «Ich schlage vor, den Gewandschneider Voss weder wie einen Selbstmörder in einem Fass im Main zu versenken, noch ihn an der Seite seiner Familie in geweihter Erde zu bestatten. Er soll seinen Platz an der Friedhofsmauer haben, ein Priester darf den Leichenzug begleiten, muss jedoch stumm bleiben. Ein Laie, ein Begarde oder eine Begine, darf einen kurzen Segen sprechen. Das Grab selbst darf nur mit einem einfachen, namenlosen Kreuz geschmückt werden, dazu mit einer Kerze an Allerseelen.
    Sollte eines Tages erwiesen sein, dass der Gewandschneider gewaltsam zu Tode gekommen ist, kann die Familie ihn leicht und mit allem Zeremoniell einer christlichen Bestattung in geweihte Erde umbetten.» Der Richter hielt kurz inne, dann bat er: «Wer diesem Urteil zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gibt es noch Fragen vorab?»
    Als sich ein dicker Patrizier in der ersten Bank zu Wort meldete, hätte Blettner am liebsten die Augen verdreht. Hollenhaus fragte: «Was geschieht mit dem Nachlass desToten? Bei Selbstmord hat der Scharfrichter ein Anrecht darauf. Bei Mord die Familie.»
    Richter Blettner kratzte sich am Kinn, dann sprach er: «Wir werden zehn Gulden aus dem Nachlass des Gewandschneiders für ein Jahr in der Stadtkasse verwahren. Ist nach Jahresfrist noch immer nicht entschieden, wie der Mann zu Tode kam, so kann sich der Scharfrichter das Geld auszahlen lassen. Die Familie ist, so denke ich, genug gestraft, die Zunft obendrein.»
    Alle Blicke wandten sich nun dem leeren Platz auf der Zunftbank zu.
    «Seid Ihr, edle Herren, bereit für das Handzeichen?», fragte der Richter. Zahlreiche Hände flogen in die Luft, der Schreiber notierte, und der Zweite Bürgermeister bestätigte, was Blettner vorgeschlagen hatte.
    Dann war die Ratssitzung beendet, der Zweite Bürgermeister Jonas Schulte schlug Blettner auf die Schulter und fragte: «Kommt Ihr mit in die Ratsschenke? Ich habe da etwas mit Euch zu bereden.»
     
    Hella war froh, dass auch die Syndici den Fall nicht

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