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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Kraft.»
    Dann wandte sie sich an das Mädchen, fasste es bei den Schultern, sah es eindringlich an. «Geh mit den Kräuternstets vorsichtig um. Hüte sie wie deinen Augapfel und wisse, dass in ihnen neben der göttlichen auch die teuflische Kraft steckt. Ich wollte nie solche Tränke brauen, wollte nur heilen und den Kindern auf die Welt helfen. Aber nur damit kann ich uns nicht ernähren. Hast du mich verstanden?»
    Das Mädchen nickte. «Ich verspreche, sorgsam zu sein.»
    Am Abend verließ sie zum ersten Mal das Haus, ohne zu sagen, wohin sie ging. Am nächsten Tag ging sie erneut. Als sie kam, war sie aufgewühlt, ihre Kleidung schmutzig und an den Säumen nass.
    «Wo bist du gewesen?», fragte die Hebamme. «Was hast du gemacht?»
    Ein merkwürdiges Lächeln erschien um den Mund des Mädchens. Sie zuckte mit den Schultern, ihr Gesicht verschloss sich.
    Die Hebamme keuchte plötzlich. Schweiß stand ihr auf der Stirn, die Augen flackerten, sie taumelte. Das Mädchen fing sie halb auf, stützte sie und führte sie zur Bettstatt. «Schieb ein Kissen unter meine Füße. Sie müssen hoch liegen, damit sich das Blut verteilt. Dann wird mir besser werden.»
    Das Mädchen rollte eine Decke zusammen und schob sie unter die Knöchel der Hebamme.
    «Jetzt bring mir Wasser», bat die Hebamme. «Eiskaltes Brunnenwasser zum Trinken und Essigwasser für kalte Tücher.»
    Das Mädchen tat wie ihm geheißen, führte der Frau einen Becher an die Lippen, legte ihr ein kaltes Essigtuch auf die Stirn, wickelte in Essigwasser getränkte Stoffstreifen um ihre Handgelenke. Langsam beruhigte sich der Atem der Hebamme, und die Schweißtropfen auf ihrer Oberlippe trockneten.
    «Danke», flüsterte sie. «Mir geht es besser, ich fühle mich nur so unendlich erschöpft. Zum Scharfrichter wollte ich gehen und dort ein Töpfchen holen. Aber ich fühle mich zu schwach dafür. Geh du an meiner statt und sag dem Henker, dass ich dich schicke. Sag ihm, er soll dir das Töpfchen ruhig aushändigen.»
    Das Mädchen nickte und machte sich auf den Weg. Sie ging durch die verstaubten Gassen aus Lehm, in welche die Sonne tiefe Risse getrieben hatte. Sie ging vorbei an den ärmlichen Katen, sah zerschlissene Wäschestücke auf Leinen hängen. Die meisten Katen hatten keine Fenster, sondern nur Löcher, die wie tote Augen in die Welt sahen. Eine Tür knarrte lose in einer Angel aus Leder. Zwei nackte kleine Kinder spielten mit einer toten Ratte. Eine dürre Katze kreuzte ihren Weg. Aus einem Haus drang Geschrei, dann hörte das Mädchen etwas klatschen, gleich darauf heulte eine Frau gellend auf.
    Eine andere zog ein kleines Mädchen an den Haaren hinter sich her, ein Junge, der dem Mädchen kaum bis zur Brust reichte, trieb einige magere Gänse über die Straße. Ein altes Weib im schwarzen Kittel schlurfte über die Straße, bückte sich nach einem Kanten schimmligen Brotes, hob ihn auf und saugte daran. Vor einer anderen Kate saß eine Frau in der Sonne, hatte das Kleid über die Schulter gestreift. Ein Säugling saugte an einer ihrer Brüste, die wie lederne Lappen bis hinab zum Schoß hingen.
    Das Mädchen richtete den Blick vor sich auf die staubige Gasse. Sie ging, ohne zu grüßen und ohne aufzublicken, am Haus des Henkers vorbei. Als die Glocke zum Angelus läutete, lief sie schneller, verließ die Vorstadt über die Mainbrücke und bog hinter der Brücke nach links ab.
    Als sie Stunden später, kurz vor Toresschluss, denselbenWeg zurückeilte, war Stroh in ihrem Haar und der Saum ihres Kleides nass. Ihr Gesicht aber war von einer großen Genugtuung erfüllt.
    Vor dem Haus des Henkers, welches weitaus prächtiger war als die anderen Häuser in der Vorstadt, hielt sie inne, klopfte mit einem Messingring an die Tür, bestaunte die Fensterscheiben aus Butzenglas, die gemauerten Wände, das mit Holzschindeln gedeckte Dach, die Blumenkästen vor den Fenstern im ersten Geschoss. Wie ein Palast wirkte das Henkershaus inmitten der geduckten Katen, und wie eine Königin, wohlgenährt, mit rosigen Wangen und glänzendem Haar, schien ihr die Henkersfrau, die ihr öffnete.
    «Was willst du, Mädchen?», fragte die Frau.
    «Die Hebamme hat mich geschickt. Ich soll etwas abholen.»
    «Sie schickt dich?», fragte die Henkersfrau ungläubig. «Dir soll mein Mann das Töpfchen geben?»
    Das Mädchen nickte.
    Die Frau trat zur Seite, bat das Mädchen herein, hieß sie im Flur warten. Schließlich kam der Henker. «Was willst du?», fragte er.
    Das Mädchen

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