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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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hatten lösen können. Heinz hatte sich ganz richtig verhalten, und niemand konnte es ihm zum Vorwurf machen, dass er den Fall nicht selbst gelöst hatte. Dieses Mal jedenfalls war sein Seelenheil nicht in Gefahr. Froh war Hella auch, weil sie sich einmal keine Gedanken um Mord und Totschlag machen musste. Sie schlenderte allein über den Markt, während die Magd das Haus putzte. An einem Stand mit Kämmen und Spangen blieb sie stehen, betrachtete die Dinge aus Messing, die in der Sonne glänzten. Dann lief sie weiter, wich einer Frau aus, die ein Kalb an einem Strick hinter sich herzerrte. Zwei Kinder rannten lachend und kreischend anihr vorbei. Das kleinere stolperte, stürzte und heulte schrill los. Sofort war Hella bei dem Kind, half ihm auf, nahm es tröstend in die Arme. Sie roch den Geruch von Kinderschweiß, der süß und mild war, strich über die klebrigen Bäckchen, über das im Nacken feuchte Haar. «Pst», machte sie. «Pst, gleich ist alles gut.»
    Als das Kind sich beruhigt hatte, besah Hella die Wunde am Knie. Dann holte sie ein Taschentuch aus ihrem Kleid, spuckte herzhaft darauf und rieb den Dreck aus der Wunde. Das Kind wimmerte, aber Hella sprach weiter beruhigend auf es ein. Als sie fertig war, nahm sie das Kind bei der Hand. «Du warst sehr tapfer. Sollen wir dir einen süßen Kringel kaufen?»
    Das Kind, ein kleiner Junge, nickte und strahlte sie aus leuchtend blauen Augen an. Hella trat mit ihm zu einem Bäckerstand, kaufte den Kringel und gab ihm den Kind. Der kleine Junge verstärkte sein Strahlen noch, flüsterte: «Danke schön», biss mit geschlossenen Augen hinein, kaute und lief, den Kringel wie eine Trophäe schwenkend, davon.
    «Niedlich sind sie ja, die kleinen Bälger», meinte die Bäckersfrau. «Wenn sie nur nicht so viel Arbeit machen würden. Ich habe fünf davon und keine Stunde Ruhe.»
    Hella nickte und wandte sich ab. Langsam schlenderte sie über den Markt, hatte plötzlich keine Blicke mehr für die Auslagen. Eine Nachbarin kam ihr entgegen, grüßte, doch Hella hörte nichts davon. Als sie mit leerem Korb wieder zu Hause war, setzte sie sich im Wohnzimmer in einen gepolsterten Lehnstuhl, stützte den Ellbogen auf die Lehne und das Kinn in die Hand und dachte nach.
    Seit knapp drei Jahren war sie nun schon mit Heinz Blettner verheiratet, aber noch immer hatte sie kein Kindbekommen. Es hieß, eine kinderlose Ehe sei die Strafe Gottes für eine schwere Sünde. Aber solange Hella auch darüber nachdachte, welch schwere Sünde sie begangen haben mochte, sie kam nicht darauf. Allmählich, Hella wusste es, begannen die Leute zu tuscheln. «Sie hat einen trockenen Schoß», hieß es. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Das Gerede der Leute machte ihr wenig. Aber ihre eigene Sehnsucht nach einem Kind war so groß. Und auch Heinz wünschte sich sehnlichst ein Kind. Am liebsten einen Sohn, der seinen Namen fortführte und womöglich ebenfalls einmal Richter würde.
    Hella weinte eine Weile. Als sie sich erleichtert fühlte, wischte sie die Tränen weg und dachte nach. Gustelies war der Meinung, Hella wäre viel zu dünn. Oben an den Schulter waren die Knochen zu sehen. Auch die Hüftknochen waren gut sicht- und fühlbar. «Iss mehr, Kind», sagte Gustelies immer, wenn das Thema auf Hellas Kinderlosigkeit kam. «Iss mehr und vor allem vieles aus Milch, dann wirst du bald schwanger werden.»
    Aber soviel Hella auch aß, der Bauch, den sie bekam, war nicht einer Schwangerschaft geschuldet, sondern Gustelies’ Sahnetörtchen. Pater Nau, ihr Onkel und Beichtvater, war der Ansicht, dass verstärkte Gebete zu sprechen und Opfergaben an die Jungfrau Maria in Form von dicken Kerzen aus weißem, teurem Wachs zu leisten waren, um der Fruchtbarkeit auf die Sprünge zu helfen. Aber Hella hatte inzwischen die ganze Liebfrauenkirche mit Wachskerzen illuminiert, ohne dass etwas geschehen war.
    Vielleicht, dachte sie, sollte ich einmal den Stadtmedicus fragen. Dann fiel ihr ein, was Gustelies stets über die Lust sagte. Hella, der solche Worte aus dem Munde der Mutter missfielen, versuchte zwar stets, sich die Ohren zuzuhalten,aber einige Sätze waren so eindringlich, dass Hellas Hirn sie aufgesaugt hatte wie ein Schwamm. «Die Lust der Frau», hatte Gustelies behauptet und sich dabei – natürlich – auf Hildegard von Bingen berufen, «ist von Gott gesandt. Die Kirche ist es, die Lustfeindlichkeit verbreitet. Der beste Gottesdienst der Frau ist ein lustvoller Beischlaf mit

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