Galgentochter
Beinen.»
Der Leichenbeschauer bat die beiden Frauen, sich umzudrehen, rollte gemeinsam mit dem Henker den toten Pfarrer auf den Bauch und bedeckte dessen Gesäß mit einem Tuch.
Jetzt deutete er auf die dunklen Flecke, die sich insbesondere dort gebildet hatten, wo der Körper des Toten aufgelegen hatte. Der Leichenbeschauer versuchte, einen der tiefvioletten bis schwarzen Flecke, die aus dem Blut des Toten stammten, zu verschieben, und erklärte dabei: «Diese Male sind schon wenige Stunden nach dem Tod sichtbar. Zuerst sind sie rosa, dunkeln dann aber immer mehrnach, bis sie schließlich schwarz werden. Eine Tagesspanne lang sind sie beweglich, danach nicht mehr. Hier, seht, bei unserem Toten verschiebt sich nichts mehr.»
Gustelies trat etwas näher an den Toten heran und deutete mit dem Finger auf seinen Rücken. «Was ist das?», fragte sie.
Der Leichenbeschauer trat näher, besah die Stelle, schüttelte den Kopf. «Meine Augen sind älter geworden.» Er suchte in seiner Tasche nach einem Augenglas und betrachtete den Rücken des Leichnams noch einmal: «Ich sehe ein Muster», sagte er.
Gustelies nickte. «Das sehe ich auch. Sein Rücken sieht aus, als hätte er im Gras oder im Heu gelegen.»
Der Leichenbeschauer strahlte und wandte sich an den Richter: «Da seht Ihr es! Frauen …»
«Ich kann es nicht mehr hören!», unterbrach der Richter.
«Also dann in Kurzfassung: Die Richterswitwe, Eure Schwiegermutter, hat soeben den Tatort ermittelt. Der Pfarrer wurde im Heu oder im Gras ermordet, und zwar mit nacktem Oberkörper und vor mehr als zwei Tagen.»
Der Richter schüttelte ungläubig den Kopf. «Woher wisst Ihr das jetzt?»
«Nun, den Todeszeitpunkt habe ich anhand der Gliederstarre herausgefunden. Das Muster auf seinem Rücken entstand während und in den ersten Stunden nach seinem Tod. Der Mord geschah also im Gras oder im Heu, und der Tote hat noch einige Stunden dort gelegen.»
Hella, die die ganze Zeit geschwiegen hatte, tippte sich nun mit der Fingerspitze gegen die Nase und überlegte laut: «Wer geht ins Heu oder Gras, und das im Frühjahr mit nacktem Oberkörper?»
«Jemand, der sich mit seinem Liebchen treffen will», erkannte Gustelies.
Der Richter schüttelte den Kopf und nahm den Schreibgriffel, auf dem er herumgekaut hatte, aus dem Mund. «Das hieße ja, dass der Pfarrer entweder widernatürliche Unzucht betrieben hat oder der Mörder eine Frau war!»
Für einen Augenblick herrschte Stille nach diesem ungeheuerlichen Satz. Dann machte sich der Leichenbeschauer bemerkbar: «Meine Arbeit ist beendet. Alles, was ich weiß, habe ich gesagt. Ruft den Henker und sagt ihm, er soll den Toten wieder wegschaffen.»
«Halt, Leichenbeschauer! Die Todesursache. Woran ist Eurer Meinung nach der Mann gestorben?», fragte der Richter.
«Gift!», erwiderte der Leichenbeschauer. «Ganz eindeutig Gift.»
«Woher wisst Ihr das?»
«Nun, der Mann zeigt keine äußeren Verletzungen. Aber er ist tot. War es kein Schlagfluss, so tippe ich auf ein Kraut, welches das Herz zum Stillstand bringt. Überdies weist der Tote erweiterte Pupillen auf. War’s das jetzt?»
«Noch nicht!», erklärte Gustelies. «Seht Ihr hier die Abschürfungen um Mund und Nase? Diese roten Flecken, die nichts mit den Totenflecken zu tun haben?»
Wieder trat der Leichenbeschauer ganz dicht an den Toten, besah die Flecken aus nächster Nähe. Dann holte er aus einer Tasche eine Pinzette hervor, fuhr dem Toten zuerst damit in die Nase, dann öffnete er den Mund und wühlte darin herum.
Hella musste sich wegdrehen, um nicht zu erbrechen. Gustelies aber sah dem Leichenbeschauer aufmerksam zu. «Was ist?», drängte sie. «Was macht Ihr da?»
«Ha!», rief der Leichenbeschauer in diesem Augenblick triumphierend und hielt die Pinzette nach oben, an der ein winziges Stück von brauner Farbe hing.
«Was ist das?», fragte Gustelies und trat näher.
«Das wisst Ihr wahrscheinlich besser als ich. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um Leder.»
Gustelies nickte. «Das wäre möglich.»
«Aber was hat dies alles zu bedeuten?», wollte Heinz Blettner wissen.
«Nun, der Tote ist nicht an Gift gestorben, wie ich zunächst dachte. Der Mann ist erstickt worden. Eure Schwiegermutter hat die Abschürfungen um Mund und Nase entdeckt, die mit großer Wahrscheinlichkeit entstanden sind, als jemand dem Pfarrer etwas auf Mund und Nase gedrückt hat, woran er erstickt ist.»
Er hielt noch einmal die Pinzette nach oben. «Leder. Ich
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