Galgentod
weiter. »Ich wollte Sie begrüßen, aber …«
»Wir sind jetzt hier im Vernehmungsraum der Kriminalpolizeiinspektion Saarbrücken, weil Sie verdächtig sind, zwei Morde begangen zu haben.« Endlich erwachte Schnur aus seiner Erstarrung und fiel Fred Recktenwald ins Wort. »Sie sind bereits über Ihre Rechte aufgeklärt worden. Stimmt das?«
Fred Recktenwald nickte.
»Gut. Dann kommen wir zu der Befragung, die ich auf Band aufnehmen werde.«
Schnur las die Namen der Anwesenden vor und begann mit der ersten Frage: »Wo waren Sie in der Nacht vom Sonntag, dem 17. August zum Montag, dem 18. August gegen ein Uhr?«
»Zuhause.«
»Wir wissen, dass das nicht stimmt«, wandte Schnur ein. »Wir haben eine Aussage von einem Zeugen, der gesehen hat, wie Sie gegen ein Uhr nach Hause kamen.«
Recktenwald riss die Augen weit auf.
»Also, Herr Recktenwald«, mischte sich die Staatsanwältin ein. »Sie haben hier und jetzt die Gelegenheit, ihre Falschaussage zu berichtigen. Das könnte sich positiv auf Ihr Urteil auswirken.«
»Welches Urteil?«, fragte Fred Recktenwald. »Ich bin unschuldig. Ich habe nichts getan. Warum sollte ich verurteilt werden?«
Schnur schaute in seine Akte, bevor er sagte: »Wir haben Ihre DNA an beiden Tatorten gefunden …«
»Sie haben sich abgesprochen, stimmt’s?«, fragte Recktenwald, ohne auf Schnurs Erklärung zu achten. »Sie haben ja viel Zeit dafür gehabt. Hecken Sie Ihre Pläne nachts aus und gehen am Tag auf unschuldige Leute los?«
Schnur fühlte sich überrumpelt. Ebenso die Staatsanwältin. Das Gespräch nahm einen Verlauf, den niemand vorhersehen konnte. Trotzdem versuchte Schnur zu retten, was nicht mehr zu retten war, indem er sagte: »Wir wissen, dass Sie im Jahr 1974 – im Alter von vier Jahren – einen schweren Unfall hatten. Sie sind vom Traktor gefallen und mit dem Kopf auf den harten Boden aufgeschlagen.«
»Was hat das damit zu tun?«, fragte Fred, sichtlich erschrocken.
»Sind Sie seit damals noch mal am Kopf untersucht worden?«
»Ich bin nicht verrückt, wenn Sie darauf anspielen wollen …«
Plötzlich ging die Tür auf – etwas, das während einer Vernehmung wirklich nur im äußersten Notfall geschah.
Alle Augen schwenkten in diese Richtung.
Dieter Forseti stand dort. Sein Blick sprach Bände.
»Hauptkommissar Schnur! Würden Sie bitte kommen?«
Schnur erhob sich und verließ verärgert den Vernehmungsraum. Im Flur erwartete ihn genau das, was er befürchtet hatte.
»Ihre Unbedachtheit hat Ihnen lediglich eingebracht, dass der Verdächtige Sie nicht mehr respektiert«, erklärte er den Grund für die Störung. »Deshalb werde ab sofort ich die Vernehmung fortsetzen.«
Schnur blieb keine andere Wahl, als sich wieder in die Rolle des Beobachters zu fügen. Er unterdrückte seine Wut und steuerte den Raum an, in dem seine Mitarbeiter standen, die alles mit verfolgt hatten.
Keiner sagte ein Wort. Das war auch besser so. Schnurs Laune war nämlich auf dem Tiefpunkt. Da könnte es passieren, dass er seine gute Kinderstube vergaß.
»Ich knüpfe wieder an das Thema DNA an«, begann Forseti, nachdem er die Formalitäten auf dem Band neu aufgenommen hatte. »Ihre DNA wurde an beiden Tatorten gefunden.«
»Was ist DNA?«
Mit dieser Frage gelang es Fred, sogar den stets bedachten und gefassten Kriminalrat Forseti ins Stottern zu bringen.
»DNA … Der genetische Fingerabdruck …«
Die Staatsanwältin sprang rettend ein. Sie erklärte dem Verdächtigen, welche Bedeutung das Laborergebnis für die Ermittlungen hatte, und wie unwiederbringlich seine DNA am Tatort ihn direkt mit beiden Taten in Verbindung brachte.
Damit gelang es Ann-Kathrin, die erste Reaktion aus Recktenwald herauszulocken. Wie versteinert saß er da und stammelte: »Aber, ich bin unschuldig …«
»Sagen das nicht alle?«, fand Forseti seine Sprache wieder. »Kennen Sie die elementare Kausalitätskette?«
Recktenwald schaute den Kriminalrat an, als spräche er Suaheli.
»Das bedeutet in Ihrem Fall: Motiv, Gelegenheit, Mord.«
Fred Recktenwalds Gesicht wirkte schlagartig eingefallen und grau. Seine Haare hingen stumpf an seinem Kopf, seine Augen wirkten wässrig und trüb.
»Welches Motiv sollte ich haben?«, fragte er fassungslos. »Dass mich diese beiden Lehrer vor vierundzwanzig Jahren mal schikaniert haben?«
»Wir wissen, dass Sie erst vor einem Jahr ein Gespräch mit Bertram Andernach geführt haben, das darin endete, dass der Lehrer Sie wieder – wie damals –
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