Galgenweg
und aufgestanden, um nach den Kindern zu sehen für den Fall, dass eins von ihnen aus dem Bett gefallen sein sollte. Doch ich wusste, dass der Lärm von unten gekommen war, und ich hatte auch eine Ahnung, worum es sich handeln könnte. Und so ging ich hinunter ins Wohnzimmer und war kaum überrascht zu sehen, dass es durch eine zerbrochene Fensterscheibe hereinregnete. Ein großer Ziegelstein lag inmitten von Glasscherben auf dem Teppich.
Zum ersten Mal, seit ich zum Detective Inspector befördert worden war, trug ich meine Garda-Uniform. Ich musste erst mittags in Sligo sein, daher hatte ich noch Zeit, um zur Wache zu fahren und die Unterlagen vorbeizubringen, die ich mit Williams für das NBCI -Team vorbereitet hatte. Unterwegs hielt ich an einer Telefonzelle an der Grenze und rief auf der Wache an. Es hatte wenig Sinn, Kerrs Traktat in O’Kanes Wagen zu deponieren, wenn niemand davon erfuhr.
Als ich auf die Wache kam, war alles still. Ich entdeckte Miriam Powells Wagen am Straßenrand und vermutete, dass sie sich bei Costello letzte Tipps holen wollte, ehe sie sich nach Sligo aufmachte. Patterson war nicht zu sehen, ich wusste, dass sein Termin für das Bewerbungsgespräch erst irgendwann am Nachmittag war.
Um kurz nach halb zehn sagte mir Burgess, dass da ein Anruf für mich sei. Ich dachte, es sei Debbie, die mir Glück wünschen wollte oder einen Rat für mich hatte. Doch ich irrte mich.
»Devlin?«
»Ja. Wer ist da?« Ich erkannte die Stimme nicht. Der Akzent war hier aus der Gegend, und es handelte sich eindeutig um einen Mann, doch ich hatte den Eindruck, dass er etwas zwischen Mund und Sprechmuschel hielt, um sich zu tarnen. Und das bedeutete, es war jemand, den ich kannte, oder jemand, der glaubte, ich würde sonst seine Stimme wiedererkennen.
»Halten Sie Ihr Scheiß-Maul, kapiert?«
Ich war völlig überrumpelt und setzte mehrfach zum Antworten an.
»Halten Sie den Mund und stecken Sie die Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Sonst – bekommt Ihr kleines Mädchen eine in den Kopf. Glauben Sie nicht, dass ich nur bluffe.«
»Wer sind –«, setzte ich an in der Absicht, selbst alle möglichen Drohungen auszustoßen, doch die Verbindung war unterbrochen, der Anrufer einfach in die Anonymität zurückgeglitten.
»Stimmt was nicht?«, fragte jemand, und als ich hochblickte, stand Williams über mir. Ihr Gesicht schien sich zu verzerren und zu verschieben, und auch der Raum rutschte plötzlich zur Seite.
Ich spürte ihre Hand auf der Schulter. Sie hockte sich neben mich, legte mir die Hand auf die Stirn und sah mir in die Augen, und ich wusste, dass sie mir beruhigend zuredete. Ich sah sie an und spürte ihre weiche Haut an meiner Wange. Da ebbte die Panik allmählich ab, ich konnte beinahe zusehen, wie sich der graue Schleier um mich herum hob, und hörte wieder das gedämpfte Gemurmel im Büro, das während meines Panikanfalls ausgesetzt zu haben schien. Und ich sah Williams’ Augen, ihr spitz zulaufendes Kinn, ihren Mund, ihre ein wenig geöffneten, leicht geröteten Lippen. Ich legte meine Hand auf ihre.
»Geht’s wieder?«, fragte sie.
Ich nickte, meine Kehle war so trocken, dass ich nicht sprechen konnte.
»Was war los? Wieder so eine Panikattacke?« Sie flüsterte, als teilten wir ein Geheimnis.
»Ein Anruf«, sagte ich schließlich und ließ ihre Hand auch dann nicht los, als sie sie von meinem Gesicht löste. Sie setzte sich auf den Stuhl neben mir und hielt mit beiden Händen meine Hand.
»Worum ging es?«
»Wenn ich nicht den Mund halte, wollen sie Penny etwas antun«, sagte ich, und die Panik stieg erneut in mir auf. Ich versuchte aufzustehen, mich zu bewegen, etwas Entscheidendes zu tun, doch meine Beine versagten, und ich setzte mich wieder. Williams verschränkte ihre Finger mit meinen und lenkte mich wieder ab.
»Du lieber Gott, Ben. Wissen Sie, wer das war? Erzählen Sie es Costello.«
Ihr Gesicht war meinem so nahe, dass ich ihren Atem spürte. Wir sahen einander an, doch keiner von uns regte sich, keiner von uns versuchte, unsere Hände wieder voneinander zu lösen.
»Da war ein Anruf«, brachte sie schließlich hervor. »Wegen Kerr –«, fuhr sie fort, wurde jedoch unterbrochen.
»Die Garda-internen Beziehungen sind doch sehr intim geworden.«
Ich blickte hoch, und Miriam Powell grinste uns spöttisch an. Ich glaube, ich errötete tatsächlich.
»Ich unterbreche Sie nur ungern, aber ich wollte Ihnen Glück für das Gespräch wünschen, Inspector. Sie
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