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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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erhobenen Augenbrauen.
    »Nein … vielleicht. Ich weiß nicht. Ich kann den Finger nicht drauflegen.«
    »Hey, wenn es gut fürs Revier ist, ist es gut für uns. Vergessen Sie’s.« Sie trank ihr Bier aus und nickte in Richtung der unberührten Flasche, die sie für mich mitgebracht hatte. »Trinken Sie das noch, Partner?« Dann rülpste sie und grinste.

3
    Dienstag, 1.   Juni
    Der folgende Morgen begann mit einem spektakulären Sonnenaufgang. Die letzten Nebelfetzen, die wie Kanonenrauch am Fuß der Berge hinter Strabane hingen, lösten sich auf, und um neun Uhr dreißig war die Hitze bereits so drückend, dass sämtliche Männer auf der Wache in Hemdsärmeln arbeiteten.
    Williams und ich standen in der Kochnische und machten Kaffee. Patterson und Colhoun waren noch nicht zur Arbeit erschienen, und viele andere waren zwar da, litten jedoch unter den Nachwirkungen der Feier vom Vortag. Selbst Williams hatte mitgefeiert. Der Geruch von Pfefferminzbonbons hing in der Luft und überlagerte einen stärkeren Dunst, die Stimmung war gedämpft und gereizt.
    Unsere Unterhaltung wurde von Burgess unterbrochen, der mit aschfahlem Gesicht zu uns hereinstürzte. »Man hat eine Leiche gefunden«, sagte er. »Draußen auf Paddy Hannons neuer Baustelle.«
    Paddy Hannon war eine lokale Erfolgsstory. Seiner Familie hatte ein Milchbauernhof gleich außerhalb von Castlefinn gehört, der ums Überleben kämpfte. Als Paddy den Hof übernommen hatte, war er auf die Idee gekommen, die Lieferfirma und den Handel zu umgehen, indem er seine Milch selbst verkaufte. Er hatte für Aufsehen gesorgt, indem er sämtliche Häuser in den Ortschaften im unmittelbaren Grenzgebiet aufgesucht und jedem Haushalt eine Gratisflasche Milch geliefert hatte. Einige Tage später hatte er diese Haushalte erneut aufgesucht und den Leuten angeboten, ihnen drei Mal die Woche Milch zum Einkaufspreis zu liefern. Innerhalb von sechs Monaten hatte er dreißig Arbeiter eingestellt und vier Milchlaster gekauft. Nach drei Jahren hatte er bereits seine ehemalige Spedition aufgekauft. Dann war er ins Baugewerbe gewechselt und hatte auch dort ein Vermögen gemacht. Die persönliche Note hatte er jedoch nie aufgegeben; nach wie vor besuchte er jeden, der ein Haus von ihm kaufte, mit einer Flasche Sekt und einem Obstkorb, um ihn in seinem neuen Heim willkommen zu heißen. So überrascht es vielleicht auch nicht, dass er bereits zwei Mal zur Persönlichkeit des Jahres im Donegal gewählt worden war – eine Ehre, die heißer umkämpft ist, als der Titel vermuten lässt.
    Bei unserer Ankunft sahen wir Hannon durch den Matsch auf dem Baustellengelände stapfen. Trotz der zunehmenden Hitze war der Boden noch immer durchweicht von dem Gewitter einige Tage zuvor. Vor einem der fertiggestellten Häuser am oberen Ende der Baustelle hatten sich die Bauarbeiter versammelt.
    Paddy schüttelte uns die Hände, dann führte er uns zu diesem Haus. Unterdessen erschien ein Streifenwagen, die Polizisten sperrten den Tatort ab.
    »Verdammt ekelhaft, Ben«, sagte Paddy mehrmals. »Totale Sauerei. Ich habe noch nie so viel Blut gesehen.«
    »Was ist passiert?«, fragte Williams.
    »Einer der Jungs wollte in dem Haus die Toilette benutzen. Hat die Leiche im Wintergarten gefunden. Überall Blut. Der arme Kerl hat sich immer noch nicht davon erholt.«
    »Ich nehme an, in diesen Häusern wohnt noch niemand?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Paddy. »Aber sie sind fast fertig. Fehlen nur noch der Anstrich und ein paar Schreinerarbeiten.« Dann fügte er hinzu, als käme ihm der Gedanke jetzt erst: »Himmel, jetzt werden wir die nie los.«
    Es war das zweite frei stehende Haus vom anderen Ende der Siedlung aus gesehen. Der Außenanstrich schien beinahe fertiggestellt, und die Fenster und Türen waren bereits eingebaut. Ums Haus herum hatte man einen Schieferplattenweg angelegt, und auf diesem folgten wir Paddy Hannon nun zur Rückseite, wo sich bereits eine Menschenansammlung gebildet hatte. An der Westseite des Gebäudes befand sich ein Wintergarten mit einer zweiflügeligen Glastür. Ein Flügel stand weit offen. Paddy Hannon hatte nicht übertrieben: Das Blut war überall.
    Die Leiche lag gleich an der Tür, eine Hand wie nach dem Türgriff ausgestreckt. Das Opfer war weiblich, das Gesicht der jungen Frau kaum zu erkennen. Das braune Haar war von geronnenem Blut verklumpt und klebte ihr im Gesicht, die Lippen waren von einer dicken Kruste aus Zementstaub überzogen. So, wie ihr Gesicht zugerichtet

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