Galgenweg
würde wirklich sterben, da hatte ich an meine Familie gedacht – an das Gesicht meines Sohnes, das Lachen meiner Tochter, an meine Frau –, und ich hatte geweint. Als ich jetzt beschämt neben Caroline saß, dämmerte mir, dass ich am vergangenen Abend, als ich dem Tod erneut ins Gesicht gesehen hatte, kaum mit der Wimper gezuckt hatte.
In dieser Nacht schlief ich unruhig. In meinen Träumen sah ich mehrfach wie aus erhöhter Position, wie McLaughlin mit einem Ast auf das Wasser unter ihm eindrosch, bis es sich rot färbte und eine gesichtslose Leiche an die Oberfläche trieb.
Am Morgen rief ich auf der Wache an und gab Bescheid, dass ich später käme. Ich frühstückte mit Debbie und den Kindern, und wir besuchten meine Eltern. Danach sammelte ich sämtliche Notizen und Zettel ein, die ich in meinem Arbeitszimmer zu dem Fall gesammelt hatte, und legte sie in den Kofferraum des Streifenwagens, den ich angefordert hatte. Ich gab erst Ruhe, als ich auch den letzten Fetzen Polizeiarbeit aus meinem Haus entfernt hatte.
Nachmittags fuhr ich mit Peter nach Letterkenny ins Krankenhaus. Er besuchte seine Mutter, während ich in Daniel McLaughlins Zimmer ging, wo Dempsey, Deegan und Meaney versammelt waren.
»Was tun Sie denn hier?«, fragte Dempsey. »Ihr Boss schien zu denken, Sie würden eine Weile zu Hause bleiben, und hat uns gebeten, den Fall zu übernehmen.« Er warf einen Blick auf den massigen Körper im Bett. »Nicht, dass der hier sehr gesprächig wäre.«
McLaughlin hatte das Bewusstsein noch nicht zurückerlangt. Er war an diverse Apparate angeschlossen, die regelmäßig piepsten, in seiner Nase steckten Schläuche, und an seinen Fingern hingen Kabel. Seine Brust hob und senkte sich langsam. Er war ein kleiner Mann, machte das jedoch durch reine Masse wett. Seine Schultermuskeln wirkten geschwollen, angespannt, obwohl der Mann doch schlief. Seine Arme waren dick, die Muskeln ausgebildet; am linken Arm befand sich eine große Tätowierung von Cuchulain, der im Tod an einem kahlen Baum lehnte; auf der Schulter saß wartend eine Krähe.
»Was erfahren?«, fragte ich und merkte, dass ich flüsterte.
»Hab eine toxikologische Untersuchung angefordert. Und eine DNA -Probe nehmen lassen. Mal sehen, ob es Übereinstimmungen mit anderen Sexualverbrechen gibt. Kann mir nicht vorstellen, dass der Typ gerade erst angefangen hat – wahrscheinlich können wir ihm noch alles Mögliche nachweisen.«
»Was ist mit dem toxikologischen Befund?«
»Steroide offenbar. Und dieses Brustkrebsmedikament, hinter dem Sie her waren. Und noch diverses andere, unter anderem Spuren von Viagra. Alles in allem ein wandelnder Arzneischrank. Die Spurensicherung hat auch Ihre Date-Rape-Chemikalie aufgetrieben – GBL , nicht wahr? Kommt offenbar in Industrielösungsmitteln, Abbeizmitteln und Ähnlichem vor.«
Ich nickte. »Ich weiß.«
»Tja, es ist auch in Felgenreiniger drin. Seine ganze Garage war voll von dem Zeug. Er kann natürlich behaupten, dass er das für seine Arbeit braucht, aber es ist trotzdem ein Punkt, der ihn mit den Mädchen in Verbindung bringt. Außerdem hat die Spurensicherung eine Übereinstimmung mit den Fingerabdrücken auf dem Kondom festgestellt, das man neben der jungen Doherty gefunden hat. Wir haben mehr als genug Material, um ihn zu zermürben. Wenn der Mistkerl nur aufwachen würde.«
Wir unterhielten uns noch eine Weile über Sinead Webb, die wieder freigelassen worden war, dann darüber, wie das NBCI -Team sich im Donegal eingelebt hatte (»prima«), die Veränderungen in den Beziehungen zum PSNI (»vielversprechend«) und die Qualität des Frühstücks in ihrem Bed and Breakfast (»grauenvoll«).
Schließlich sagte ich, ich wolle zurück zur Wache fahren. Ich bat Dempsey, sich mit mir in Verbindung zu setzen, falls er etwas Neues erfuhr, und versprach ihm, das ebenfalls zu tun. Bis McLaughlin erwachte, würde ein uniformierter Polizist vor der Tür seines Krankenzimmers Wache stehen.
Bevor wir das Krankenhaus verließen, ging ich jedoch mit Dempsey zu Caroline.
»Ich dachte, Sie und Caroline wären … na, Sie wissen schon … miteinander verbandelt«, sagte er.
»O nein«, widersprach ich. »Ich bin verheiratet.«
»Ich weiß.« Er lächelte. »Vielleicht war’s nur der erste Eindruck. Sie ist ein reizendes Mädchen.«
»Ja. Das ist sie wohl.«
Eine Weile gingen wir schweigend dahin. Beide scheuten wir uns, das anzusprechen, was nunmehr eigentlich die wichtigste Verbindung zwischen uns
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