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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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die Muskeln spielten unter dem engen T-Shirt, der Rücken war massig und furchteinflößend.
    Als er uns durchs Wasser plantschen hörte, drehte er sich um, und ich hörte, wie Dempsey McLaughlin zurief, er solle stehen bleiben, aber das trieb ihn nur noch mehr an und er lief noch schneller.
    Ich ging nun auf die Flussmitte zu, meine Beine schmerzten und mein Herz raste. Schweiß brannte mir in den Augen, und im Mund schmeckte ich Salz. »Himmel, bloß keine Panik«, sagte ich mir immer wieder.
    McLaughlin hatte das andere Ufer erreicht und suchte verzweifelt nach einem Loch im Zaun, um nicht bis zu dessen Ende weitergehen zu müssen. Er tastete den Draht ab, sah immer wieder nach oben, um die Höhe des Zauns einzuschätzen, die ich mit etwa viereinhalb Metern veranschlagte. McLaughlin war stark, aber er war auch schwer. Dennoch sprang er mehrfach am Zaun hoch und versuchte, sich am Draht festzuhalten, aber er wurde jedes Mal von seinem eigenen Gewicht wieder zurück ins Wasser gezogen.
    Ich wandte mich um und sah nicht weit hinter mir Dempsey und hinter ihm mehrere PSNI -Beamte am Ufer entlang durchs Wasser waten. Irgendwann würde einer von ihnen McLaughlin erreichen, und das wusste er. Seine Sprünge wurden hektischer, und er knurrte wild. Ich konnte seine Angst geradezu spüren. Als ich mich ihm näherte, griff ich hinterm Rücken nach meiner Waffe, und in diesem Augenblick tauchte McLaughlin seine großen Hände ins Wasser und zog einen schlammtriefenden Ast heraus. Er warf ihn von einer Hand in die andere, als wäre er gewichtslos. Dann stürzte er sich auf mich.
    Er hatte nicht gut gezielt, dennoch musste ich zur Seite springen, um ihm auszuweichen. Dabei verlor ich auf den Steinen das Gleichgewicht und stürzte. Die Welt wirbelte davon, sämtliche Geräusche klangen gedämpft und hallten in meinen Ohren wider. Das Wasser schmeckte nach Schlamm und anderen Dingen. Ich rang um Luft, schluckte aber nur noch mehr Wasser. Während ich mich noch bemühte aufzustehen, spürte ich einen Schlag auf dem Rücken und dachte, mein Rückgrat sei gebrochen. Mein Blickfeld zersplitterte, dann setzte es sich neu zusammen; in meinem Kopf hämmerte es, die Beine gaben unter mir nach. Ich versuchte erneut aufzustehen; diesmal traf der Ast mich in die Rippen. Ich hörte ein krachendes Geräusch, durch das Wasser noch verstärkt, wusste aber nicht, ob es meine Rippen gewesen waren oder das Holz. Das Blut in meinem Mund schmeckte nach alten Münzen. Der Magen drehte sich mir um, und ich erbrach mich ins Wasser, besudelte mich selbst. Ich richtete meinen Blick wieder auf und sah, wie McLaughlin den Ast in die Höhe reckte und über seinen Kopf erhob. Sein dicker Bizeps war angespannt, seine Brustmuskeln dehnten den Stoff seines T-Shirts derart, dass ich dachte, es müsse zerreißen. In seiner Miene war nichts Menschliches mehr, seine Augen wirkten wie im Rausch erstarrt, als bezöge er irgendeine Form von sexueller Befriedigung aus der Brutalität seiner Handlungen. Sein Gesicht entsetzte mich, und mein Kopf wurde leer. Ich versetzte ihm einen Fausthieb unterhalb der Rippen, bewirkte damit aber so gut wie gar nichts: McLaughlin krümmte sich ein wenig, mehr aber auch nicht; meine Faust dagegen pochte schmerzhaft. Seine Augen blitzten wütend auf, und er stieß ein Brüllen aus, während er sich jetzt anschickte, den Ast mit voller Wucht auf mich niederfahren zu lassen.
    Dann hörte ich einen gedämpften Schrei, gefolgt von einem einzigen dumpfen Knall.
    McLaughlin hielt inne und sah hinab auf seine Brust, wo sich Blut unterhalb der rechten Schulter wie Blütenblätter auf dem T-Shirt ausbreitete. Verwirrt betrachtete er den sich ausdehnenden Fleck und ließ den Ast ins Wasser fallen. Seine dicke Hand tastete die Wunde ab, dann verdrehte er die Augen und fiel rückwärts in den Fluss, ohne auch nur den Versuch zu machen, seinen Sturz abzufangen.
    Ich spuckte Galle und Flusswasser, während ich mich nach Dempsey umsah, der immer noch in Schießhaltung stand, die Pistole auf den nunmehr schlaffen McLaughlin gerichtet, das Gesicht bleich und angespannt. Hinter ihm preschten mehrere Polizisten durchs Wasser, die Waffen in die drückende Luft über dem Fluss emporgereckt. Ihre Münder öffneten und schlossen sich, und ich wusste, sie redeten, doch ich hörte nur das Rauschen des Flusses und die mächtigen Schwingen eines Reihers, die irgendwo am Himmel majestätisch schlugen, im gleichen Takt wie mein Herz.

22
    Donnerstag, 17.  

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