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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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Juni
    Bei Tagesanbruch regnete es; leichte Sommerschauer tauchten alles in Nebelschleier, die sich aber beinahe sofort wieder verzogen. Immer wenn die Straßen gerade trockneten, kam der nächste Schauer auf und war schon wieder vorbei.
    McLaughlin lag im Krankenhaus von Letterkenny auf der Intensivstation. Dempseys Schuss hatte sein Herz verfehlt, doch sein Schulterblatt war zertrümmert und ein Lungenflügel beschädigt. Die Chirurgen hatten die ganze Nacht an ihm gearbeitet und versucht, Splitter aus seiner Lunge zu entfernen. Er würde überleben, doch es konnte eine Weile dauern, ehe wir vernünftig mit ihm reden konnten; oder besser gesagt, ehe er uns vernünftig Rede und Antwort stehen konnte.
    Mich hatte ein gehetzter Assistenzarzt einer flüchtigen Untersuchung unterzogen und um kurz nach Mitternacht nach Hause geschickt. Bevor ich ging, schaute ich bei Caroline vorbei, um nach ihr zu sehen und sie über unseren Fall auf dem Laufenden zu halten. Sie war wach und sah sich im Fernsehen eine späte Talkshow an. Am Nachmittag hatte sie mit ihrem Sohn Peter gesprochen; Debbie hatte ihn im Taxi zu ihr gebracht. Sie dankte mir und besonders Debbie dafür, dass wir uns um ihn kümmerten. An der Arbeit zeigte sie wenig Interesse und fragte nur, ob wir herausgefunden hätten, wer den Lappen in meinen Auspuff gesteckt hatte. Ich sagte ihr, dass ich McLaughlin im Verdacht hätte, und sie sah mich ganz kurz an, wie tief in Gedanken versunken. Dann blickte sie an meinem Kopf vorbei auf den Fernseher in der Ecke.
    »Es tut mir leid, Caroline«, sagte ich. »Das galt mir. Es tut mir leid, dass es so gekommen ist.«
    »Ich weiß, Sir«, sagte sie. Sie öffnete den Mund, um fortzufahren, doch dann schien sie es sich anders zu überlegen und schloss ihn wieder.
    »Was?«, fragte ich und setzte mich neben sie aufs Bett.
    »Nichts.«
    »Ach, kommen Sie, Caroline. Was ist los?«
    »Ich habe nachgedacht. Wenn ich jetzt tot wäre, was würde dann aus Peter werden?«
    »Um Peter würde man sich kümmern, Caroline«, sagte ich. »Außerdem sind Sie nicht tot. So dürfen Sie nicht denken.«
    »Aber ich muss. Ich bin alles, was er hat. Ich … mir war nicht klar, wie egoistisch ich bin – indem ich das tue.«
    »Das ist nicht egoistisch, Caroline. Das ist Ihre Arbeit. Sie würden nicht bei der Polizei bleiben, wenn Sie so denken würden.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will«, erklärte sie. »Bei der Polizei bleiben, meine ich.«
    »Der Schreck steckt Ihnen noch in den Knochen, Caroline, das ist alles«, sagte ich, obwohl ich den Verdacht hatte, dass es so einfach nicht war.
    Sie schüttelte den Kopf, so energisch sie konnte, und zuckte zusammen, weil es schmerzte. »Hendrys Bemerkung geht mir nicht mehr aus dem Kopf, Sir, verstehen Sie? Die mit dem Kinderfummler.«
    »Das hat er doch nicht so –«, setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
    »Ich weiß, gar nichts hat er gemeint. Das ist es ja. Mir ist klar geworden, dass ich das Gleiche gesagt hätte – genau genommen habe ich schon Schlimmeres gesagt. Als wäre das alles ein großer Witz. Ich weiß nicht. Ich will bloß nicht so … so abgebrüht werden, dass ich vergesse, dass es nicht okay ist.«
    »Das werden Sie nicht, Caroline. Dafür sind Sie nicht der Typ. Ich meine, mein Gott, sehen Sie mich an«, fügte ich lachend hinzu.
    »Ich sehe Sie ja an. Wie oft werden Sie sich noch zusammenschlagen lassen? Was würde aus Debbie werden? Oder aus Penny und Shane?«
    Damit traf sie einen wunden Punkt, doch das wollte ich nicht zugeben. »Darüber denke ich einfach nicht nach, Caroline«, bluffte ich.
    »Und das von jemandem, der Medikamente gegen Panikattacken nimmt. Was glauben Sie, woher die kommen?«
    Ich sah sie nur an. Ich öffnete den Mund, doch mir fiel keine passende Antwort ein.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich sehe Sie an, Sir, und ich will nicht mehr wie Sie sein. Ich will nicht für Menschen sterben, denen das scheißegal ist. Dafür bedeutet mir Peter zu viel.« Sie begann zu weinen, lautlos liefen ihr die Tränen über die Wangen. Ich rückte näher und drückte sie an mich. Sie weinte immer heftiger, weinte wegen all dem, was ihr zugestoßen war. Ihre Schluchzer ließen meinen Körper vibrieren. Ich verspürte dieselbe Traurigkeit wie sie. Und ich erinnerte mich – wieder einmal – an Debbies Warnung, nicht die eigene Familie zu Märtyrern zu machen, nur um einen Fall aufzuklären.
    Als ich zum ersten Mal gedacht hatte, ich würde sterben,

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