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Galileis Freundin (German Edition)

Galileis Freundin (German Edition)

Titel: Galileis Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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erschüttern.
    Mme Coquet grüßte nicht, sie lächelte nicht, sie ließ einfach geschehen, was geschehen sollte. Sie selber wusste noch nicht, ob sie in wenigen Augenblicken Freude oder Leid, Liebe oder Trauer weitergab. Eines wusste sie, diese junge Frau würde ihr Zelt nicht genauso verlassen, wie sie es betreten hatte.
    Die Alte schaute Caterina mit strengem Blick an. Sie wollte sie fragen, ‘wollt ihr eure Zukunft überhaupt wissen?' Ihre Erfahrungen hatte sie gelehrt, dass alle ihre Gäste die Zukunft wissen wollten, die schöne, glückliche Zukunft. Doch die Alte gab die Zukunft preis, wie sie war, nicht geschönt, nicht verherrlicht. Der erfreute Kunde rannte voller Glück hinaus, ein anderer stürzte sich nach dem Besuch in das Meer. Ihr war es gleich. Wenn die Menschen die Zukunft erfahren wollten, dann konnte sie sich nicht verweigern. Das Geschehen würde geschehen, so oder so. Ob ein Mensch früher oder später unglücklich wurde, war ihr letztlich gleichgültig.
    Gleichgültig und unbeteiligt schaute sie in die Gesichter, verglich die Bilder in ihrer schi m mernden, gläsernen Kugel, legte ihre Tarok-Karten auf den Tisch und kombinierte die gehei m nisvollen Signale des Himmels.
    Die langen, schwarzen Haare fielen der Alten über das verwitterte Gesicht. Die dunklen Falten wurden noch dunkler. Eine unheimliche Aura mit einer übersinnlichen, magischen Kraft strahlte sie aus. Eine tropfende Kerze auf dem Tisch senkte in die opalisierende Kugel ein ätherisches Licht. Das flackernde Licht ließ die finsteren Schatten auf den Zeltwänden wie angerufene Geister tanzen.
    Ehrfurchtsvolle Stille hatte die Gräfin erfasst . Die Geheimnisse äußerster menschlicher Fähi g keiten flößten ihr Furcht ein. Der laute Trubel der Menschen vor dem Zelt war zum Schweigen verdammt worden. Nur ein Murmeln und hintergründiges Dröhnen wie von einem fernen G e witter, füllte den kleinen Raum mit einem sphärischen Summen. Geister der Zukunft schwebten durch das Halbdunkel. Ein prickelnder Schauer lief über Caterinas Haut.
    „Waren es die Mächte des Finsteren oder waren es die Chorgesänge der himmlischen Hee r scharen, die sich für eine Botschaft bereit machten?“
    Die dunkle Stimme der alten Hexe begann langsam und rollend über die Geschehnisse hinwe g zuschweben. Unklare Bilder verdichteten sich, verflüchtigten sich erneut, sammelten sich und liefen einer Linie entlang, die sich zu einer Lebenslinie formierten. Nicht die Bilder der realen Welt, die geheimnisvollen Geschehnisse aus anderen Leben, aus übersinnlichen Erkenntnissen, die sich anders ausdrückten als die Gemälde des irdischen Daseins. Malte sie, die Alte, diese neuen Gemälde, oder waren es Gemälde, die sich aus den Lebensenergien einer Caterina Pi c chena zusammenstellten?
    "Du bist nicht das Bettelweib, das du zu sein vorgibst. Du bist eine adlige Frau, die Fürstin eines Landes. Du bist die Herrscherin deiner selbst. Du bist das machtvolle Gebilde eines höher stehenden Geistes, aus dem sich die unerschöpfliche Quelle für dein Leben und all deiner Leben speist. Dein Schicksal ist verbunden mit den Schicksalen vieler anderer Menschen. Du bist wie eine Perle in einem Sack voller Erbsen. Doch weiß ich nicht, ob sich die Perle wohler fühlt, oder ob die Erbsen glücklicher sind? Ab und zu erscheint ein fremder Geist, der die Perle reibt und ihr neuen Glanz verleiht. Dann erscheint ein anderer und beschmutzt die Perle mit seinen erdigen Fingern. Die Perle könnte als glänzende Sonne an einer Kette den schlanken Hals einer schönen Frau zieren."
    Die Alte lächelte, in sich versunken. Caterina sah ihr Glück auf sich zukommen.
    "Eine noch so glänzende Perle könnte auch in den Staub fallen und von schweren Soldatensti e feln zertreten werden."
    Die Gräfin blickte die Alte unruhig und durchdringend an. Die herabfallenden langen Haare verdeckten das herbe Gesicht der wissenden Frau, die unverzüglich fortfuhr.
    "Ich sehe den Glanz aus dem Licht der Perle entschwinden. Ich sehe, wie das innere Licht seine Kraft verliert, wie dunkle Wolken über den himmlischen Schein herfallen und Dunkelheit die Perle umhüllen."
    Caterina hatte fast aufgehört zu atmen. Sie hörte ihr Herz schlagen. Die Adern an ihrem Hals traten hervor. Mit festem Blick suchte sie die Hexe zu durchdringen.
    "Doch wisse eins. Auch die Sonne ist irdisch. Auch der glänzende Stern, der unserer Erde Wärme verschafft, gehört zu dieser Welt. Schreite über dieses Dasein hinaus.

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