Galileis Freundin (German Edition)
sierten.
"Ihr seid zu jung, zu klein, als dass ihr das alles verstehen könntet. Es würde zuviel für euch sein."
"Zu klein, zu jung", sie war erregt aufgesprungen. "Immer bin ich zu klein, zu jung. Ich bin nicht zu klein, dass mich die Balia schlagen darf, ich bin nicht zu klein, dass ich den Streit aber auch das Stöhnen und das Geifern der Knechte und Mägde auf dem Heuboden miterleben darf. Ich höre das wollüstige Stöhnen der Frauen im Heu, wenn sich der Knecht auf sie stürzt. Vie l leicht darf ich es mitbekommen, weil es zufällig passiert, und weil ich es zufällig mitbekomme. Aber ich bekomme es mit."
Sie hatte sich wieder ruhig auf den Stuhl gesetzt.
"Ich habe sehr viel erfahren durch die vielen Bücher, die in dem Bücherschrank meines Vaters liegen. Ich habe Briefe und Zeugenaussagen, ich habe die Geständnisse der Gefolterten gelesen. Ich habe mir meine Gedanken darüber gemacht. Ich habe mit meinem Vater darüber disputiert. Wir haben über das Unrecht auf dieser Welt gesprochen. Was ich sehe, das sehe ich. Wie kann mir jemand gegenüber behaupten, da sei nicht wahr?“
Ihre Wangen glühten rot. Ihr Zorn auf die Menschheit hatte ihr Blut in Wallungen versetzt. In der kurzen Unterbrechung atmete sie schnell und hastig.
Datini schaute sie an. Das Mädchen verstand mehr von dieser Welt, als die meisten Männer und Frauen aus seiner Umgebung. Dieses kleine Wesen könnte ein Wort bei ihrem Vater für ihn, den gefolterten Schmied, einlegen. Er war gewillt zu erzählen.
Ohne eine weitere Erklärung begann er zu berichten. Er schilderte, wie er vor zwei Wochen, erneut abends spät zur Inquisition geschafft wurde. Wie das Verhör zu einer einz i gen Lächerlichkeit wurde, in der weder der Kläger noch der Beklagte an die Wahrheit der Vorwürfe glauben konnte, wo sie aber dennoch gemacht wurden.
Er schilderte mit schnellen, dann mit schleppenden und stockenden Worten, wie man ihn in San Gimignano in die Folterkatakomben unterhalb der Piazza della Cisterna geschleppt hatte. W e nige Meter unter dem belebten Platz, dort wo keine Menschenseele die verzweifelten Angst-und Schmerzensschreie der gequälten Delinquenten hören konnte. Wie Folterer und Inquisit o ren ihre Lust an dem Leid anderer ausließen, wie sie mit Freuden und Befriedigung an der Ve r zweiflung der Männer und Frauen teilnahmen.
"Glaubt mir eines, es werden viel mehr Frauen gefoltert als Männer. Für jede Frau in unserer Umgebung besteht die Gefahr, eines Tages in diesen Kellern zu lande n . Es ist nicht wic h tig, was sie getan hat. Es ist noch nicht einmal wichtig, ob sie sich überhaupt etwas hat z u schulden kommen lassen.
Es ist entsetzlich, wie die Männer ihre Freude haben an den gequälten weiblichen Geschöpfen. Sie ziehen sie nackt aus. Sie ergötzen sich an den Körpern, sie liebkosen und quälen die Brüste gleichermaßen. Es gibt keine Frauen, die quälen, die andere Menschen in dem Folterkeller Leid zufügen. Aber die meisten, denen Leid zugefügt wird, sind Frauen. Sie werden wir nicht wi e der sehen . Die anderen werden für ihr Leben gezeichnet sein. Sie werden Krüppel sein, an Leib und an der Seele."
Der Schmied machte eine Pause. Das Mädchen versuchte mit Entsetzen die Grausa mkeiten zu begreifen. Die Worte , die sie soeben gehört hatte, wollten erst einmal verkraftet werden. Doch nun, mitten in seiner Erzählung kannte Datini keine Grenzen. Jetzt sollte sie die ganze Wah r heit erfahren. Auch wenn sie noch so jung war. Es konnte nicht heißen, seine eigene Frau würde die Geschehnisse besser verstehen und verkraften, seine Frau, die in ihrem aberwitzigen Glauben an die heilige römische Kirche die Untaten derselben oft genug nicht wahrhaben wol l te. Datini hatte zu Gott gebetet, dass dies alles nicht seine Kirche sei, dies würde nicht in Jesu Christi Namen geschehen.
Sprudelnd quollen die Worte aus seinem Mund hervor.
"Als man mich in den Folterkeller schleppte, lag eine nackte Frau auf einer Streckbank. Man führte mich vor sie hin. Ich sollte die Folter sehen, miterleben. Man wollte mich abschrecken. Die Frau war an Füßen und an den Armen mit Seilen festgebunden. Unter ihrem Rücken waren auf der Holzbank Rollen mit Nägeln befestigt. Die Seile liefen über Winden, die von den U n menschen gedreht wurden. Die Gequälte wurde auseinandergezerrt. Ich hörte das Knacken ihrer Schulter und der Gelenke. Ich spürte das Reißen ihre r Muskeln. Kniegelenke und Hüften ze r sprangen mit einem unmenschlichen
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