Galileis Freundin (German Edition)
Feierlichkeiten schwelgte. Von dem brutalen Wettkampf auf dem Rücken von Pferden, der oft ein schlimmes Ende fand. Wie könnte er in diesem überschäumenden Tumult seine kleine Herrin beschützen und auf sie aufpassen? Wie sollte er selbst den vielen erotischen Versuchungen und Verfü h rungskünsten einer gänzlich durcheinander geratenen Stadt widerstehen können? Und doch war ‘Il Palio’ für ihn, wie für jeden Toskaner ein magisches Wort.
Dieser Tag des berühmten wie berüchtigten Pferderennens auf der Piazza del Foro stellte für die Stadt an der alten Via Francigena und für die Dörfler ihrer Umgebung der Höhepunkt des Jahres dar. Ein glitzernder Traum, der die armen Bauern hoffen ließ, einmal in ihrem trostlosen Leben einen höheren Rang als ein Fürst einnehmen zu können. Ihre Pferde vom Feld, kräftig mit starker Muskulatur, widerstandsfähig und unempfindlich liefen gegen die Barberi der Fü r sten. Die araberähnlichen, genügsamen, kräftigen und doch sehr schnellen Pferde des Adels wurden in der Maremma gezüchtet, dem Küstenstrich zwischen Castiglione und dem Monte Argentario. Beide, die kräftigen Bauernpferde wie auch die rassigen Renner, konnten ihre Chance wahrnehmen. Todesmutige Bauernjungen trainierten mit unbändigem Siegeswillen das ganze Jahr über ihre Gäule. Ihr gestriegeltes Pferd in dem sonst trostlosen Dasein in ihren ar m seligen Höfen nur einmal auf dem Palio zum glorreichen Sieg zu führen, war der endgültige Traum eines jeden tapferen Burschen vom Lande. Wenn er mit dem höchsten Erfolg gekrönt war, war für die sichere Zukunft gesorgt. Unsummen Geldes spielten bei dem abenteuerlichen Rennen eine außergewöhnliche Rolle. Die wilden Fantini, Desperados auf den ungesattelten Rücken der Pferde, mussten nicht nur exzellente Reiter sein. Ebenso draufgängerische, tode s mutige Qualitäten und Verhandlungsgeschick wurden verlangt, wenn sie sich an eine Contrada verdingten. Betrug, Bestechung und Hinterlist setzten vermögende Auftraggeber und pokernde Reiter im Kampf um die besten Plätze, schnellsten Pferde und den höchsten Lohn ein. Verräter nannte das Volk die Fantini, die wegen eines höheren Soldes zur anderen Partei überliefen.
Wochen vorher wuchs die Spannung. Steigende Nervosität hielt die Stadt in Atem. Eine M i schung von Freiheitsgefühl, rücksichtslosem Mut und unerfüllten Ambitionen knisterte in den Contraden. Die ehrwürdigen Adelsgeschlechter, die reichen Handelsfamilien gierten auf dem Foro nach Machterweiterung und Einfluss . Ein glänzender Sieg im Palio verhieß beides. Tage vor dem mörderischen Kampf waren die prächtig geschmückten Paläste Schauplatz eines G e schlechterhandels unter den mächtigsten Familien.
Fortbestand der Sippe, Erweiterung der Einflusssphäre , Aufrechterhaltung ihres Machtsanspr u ches trieben die Familienoberhäupter zu einer Art Hochzeitsjahrmarkt. Unverheiratete Töchter, gewissermaßen ‘schwierige Fälle’ kamen unter den Versteigerungshammer. Wie preziöse, se l tene Waren wurden die schwer Vermittelbaren ausgestellt. Die gekonnte Inszenierung der Schau beeinflusste die Höhe des Preises. Belastende Mitgiften sollten vermieden werden. Im Vorfeld des Palio boten Einladungen der Fürsten und der hohen Politiker das Umfeld, die A t traktivität der Waren „Frau“ in einem angemessenen Rahmen darstellen und betrachten zu können. Ein Markt der Eitelkeiten, eine Messe der besten Angebote, ein Überblick über die vergessenen Jungfrauen der toskanischen Herrsche r häuser.
All diese ränkesüchtigen Hintergründe waren dem treuen Marco nicht bekannt. Er schwankte zwischen Ängstlichkeit und Neugierde, zwischen Verantwortung und Abenteuerlust. Seine Sorgen begründete er gegenüber der Gräfin mit der Schwierigkeit, seine junge Herrin in der unermesslichen Menge von wild gewordenen Menschen im Auge behalten zu können.
„Was kann mir noch schlimmeres geschehen, als was ich bereits erdulden musste ?“ erwiderte seine Herrin mit einem ironischen Tonfall in der Stimme.
Über die Via Roma und die Via di Pantaneto hielt der hohe Staatsgast Einzug in das Zentrum Sienas zum Forum. Jeweils zwei in glitzernde Uniformen gesteckte und mit Musketen bewaf f nete Gardisten, vorneweg und hinter dem Tross , beschützten die herrschaftlichen Reisenden vor zerlumpten Wegelagerern und anderem lichtscheuen Gesindel. An der Porta Romana nahmen berittene Soldaten der Leibgarde des Gonfaloniere, der höchsten Gerichtsinstanz,
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