Gallagher-Chroniken 02 - Gallaghers Krieg
Neben dem leeren Pappbecher blieb sie stehen. Sie leckte die süßen, klebrigen Limonadetropfen auf und knabberte neugierig am Rand des Bechers.
Sie war hungrig. Das primitive Gehirn des kleinen Tieres registrierte, dass seit Tagen keine Menschen mehr auf dem Raumhafen gewesen waren. Sie hatte nicht nur keine Menschen mehr gehört – durch den ständigen Lärm der Starts und Landungen war sie, wie viele andere Ratten hier auch, längst ertaubt –, sie hatte auch niemanden mehr gesehen. Daraufhin hatte sich das Verhältnis zwischen vorhandenen Ratten und verfügbaren Essensresten drastisch verschlechtert. Was die Ratte nicht wusste, war, dass jeglicher Flugverkehr nach Trusko VII untersagt war, seit der Gouverneur dieser Randwelt seine Unabhängigkeit vom einflussreichen Königreich Kerian erklärt hatte.
Die Ratte nagte eine Ecke aus dem Pappbecher heraus und leckte, so viel sie konnte, von der Limonade auf. Dies war die erste Nahrung, die sie seit Tagen gefunden hatte und es würde vielleicht die letzte für eine Weile sein.
Während die Ratte halb in den Becher hineinkroch, senkte sich erst der dunkle Schatten, dann die Landekufe eines blutrot lackierten Raumschiffes über das Tier. Das Dröhnen der Triebwerke übertönte das feuchte Knacken, mit dem die Ratte zu einen schleimigen Brei zermalmt wurde. Lediglich der Schwanz des Tieres, welcher noch unter dem Landegestell hervorragte, zuckte noch einige Sekunden, bevor er erschlaffte.
Die Triebwerke verstummten, und das Kanzeldach des roten Kampfraumschiffes schnappte auf. Der Pilot schälte sich aus seinem Sitz und sprang aus dem Cockpit, ohne auf die Robot-Gangway zu warten, die quietschend über die Landepiste auf ihn zugerollt kam.
Die Sensoren der Gangway erkannten, dass das zweite Raumschiff, welches in hundert Metern Entfernung von der roten Maschine gelandet war, kleiner war und keine Gangway benötigte, da seine Ausstiegsluke nur wenige Handbreit über dem Boden lag. Die Robot-Gangway rollte davon und parkte wieder unbeachtet in ihrer Wellblechgarage.
Auch der Pilot des zweiten Raumschiffes war inzwischen ausgestiegen. Er salutierte dem Piloten der roten Jagdmaschine.
»Willkommen zu Hause, Gallagher«, rief er.
Clou Gallagher nahm seinen Helm ab und atmete tief durch. »Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich jetzt gleich publicitywirksam den Boden küsse. Sie können die Kamera wieder wegpacken, Faulckner.«
Der Reporter verbiss sich eine Antwort. Er konnte Clou Gallagher nicht verdenken, dass er ihm nicht über den Weg traute. Auch er fühlte sich in Clou Gallaghers Nähe nicht besonders wohl. Schließlich teilten der Reporter und der Söldner eine Reihe unerfreulicher Erinnerungen aneinander. Faulckner hatte vor über zehn Jahren ein Interview mit Gallagher vor der Ausstrahlung ohne Wissen und Einwilligung des Söldners umgeschnitten und dabei einige Aussagen verfälscht wiedergegeben. Das Interview war Auslöser einer Reihe von Ereignissen gewesen, die Clou Gallagher schließlich auf den abgelegenen Planeten Bulsara verschlagen hatten. Dort hatte er einen Großteil der vergangenen Dekade verbracht. Nun aber hatte sie das Schicksal in Person des truskonischen Gouverneurs O’Reilly wieder zusammengeführt und ihre Mission zwang sie zur Kooperation.
»Gibt’s hier keine Hovercars?«, fragte Clou und musterte mit zusammengekniffenen Augen das Terminal des Raumhafens. Alles war dunkel und menschenleer, selbst der Tower. Bereits beim Landeanflug hatten sie das festgestellt. Sie hatten sich schließlich von Clous Kontakten beim hiesigen Geheimdienst einen Peilstrahl auf einer Militärfrequenz geben lassen. Der gesamte Raumhafen war geschlossen.
»Wohl kaum.« Nigel Faulckner zuckte mit den Achseln. Der eigentliche Raumhafen lag am anderen Ende des Rollfeldes, etwa zweieinhalb Kilometer von ihrem Landepunkt entfernt.
»Na schön«, Clou streckte die Glieder und setzte sich in Bewegung, »dann wollen wir uns nach dem langen Flug mal ein bisschen die Beine vertreten, was, Faulckner?«
*
Clou öffnete das Plastikröhrchen mit den Schmerztabletten, schüttelte es, bis ein paar davon in seiner Handfläche lagen, und schluckte sie.
Wenige Sekunden später ließen die Kopfschmerzen nach. Er lehnte seine klopfende Stirn an die kühlen Glasscheiben der Hover-Limousine, die ihn durch den Nachmittagsverkehr nach Hause brachte.
Nach Hause …
Clou lächelte unwillkürlich. Diese Stadt war sein Zuhause. Hier war er vor sechsundvierzig Jahren geboren
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