Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Autor und Leser aufhob, heißt nicht, dass es unter dem Strich hier um Leben und nicht um Kunst ging. Kerouac erstellte in seinen Romanen in der Tat das, was er eine «Chronik dieser Zeit» nannte, und vielleicht ist er wirklich der erste amerikanische Autor, der sich darüber bewusst war, dass – wie der Kritiker William Crawford Woods bemerkte – «im Akt der Niederschrift … aus Geschichte Literatur wird»; eine Erkenntnis, die mit den Arbeiten so unterschiedlicher zeitgenössischer Autoren wie Robert Lowell, Norman Mailer, Philip Roth und Hunter S. Thompson durchaus korreliert. Kerouac glaubte, dass die wahre Geschichte des Amerikas der Nachkriegszeit mit all ihrem Tempo, ihren Verrücktheiten und ihrer Traurigkeit nur als innerer Monolog und Bekenntnis erzählt werden könne. War das tief verborgene Ich erst einmal, mit Kerouacs inzwischen berühmter Wendung, durch «hundertprozentige persönliche Ehrlichkeit» entfesselt, dann würde es schon die ihm eigene Kunstform finden; er schätzte, dass er etwa 15 Jahre gebraucht hatte, um seine eigene «Stimme» zu finden und zu schulen.
Der Dichter Robert Creeley verstand sofort, dass Kerouac sicher nicht weniger professionell als seine Vorbilder war, ganz im Gegenteil; er war, seinen eigenen Worten zufolge, «altmodisch [und] hingebungsvoll», aber für die meisten Kritiker und Rezensenten, die der damals modischen Vorstellung einer auktorialen Objektivität anhingen, waren offen eingestandene Verwundbarkeit und Spontaneität gleichbedeutend mit Dilettantismus. Kerouac hatte sich selbst zum Abschuss freigegeben, und diese Einladung wurde nur allzu gerne angenommen: «unwissender Bohemien», «Latrinen-Hofdichter von Hobohemia» und «Chaot im Fieberwahn», um nur ein paar Urteile zu nennen. Truman Capote, der später eine eigene Form des Dokumentar-Romans entwickeln sollte, tat öffentlich Kerouacs Methode als «Schreibmaschinenschreiben» im Gegensatz zum «Schreiben» ab. Von Natur aus quälend feinfühlig und befangen, konnte Kerouac zwar wütend werden, aber niemals bösartig, und bar jeglicher Medienintelligenz war er diesen Attacken hilflos ausgeliefert. Törichterweise versuchte er von seiner neuen Bekanntheit zu profitieren und veröffentlichte in kurzer Folge die bereits geschriebenen Bücher; aber damit stützte er nur die falsche Annahme, er würde alle paar Tage ein neues Manuskript heraushauen.
Auch wenn Kerouac nur wenige verständige Leser hatte, mangelte es ihm doch nie an Groupies, aber selbst die jagten ihm Angst ein. «Du bist einundzwanzig und ich neunundzwanzig», belehrte auf einer Party ein leidenschaftlicher Fan Kerouacs Freundin, die Schriftstellerin Joyce Johnson, und stieß sie zur Seite. «Ich muss ihn jetzt vögeln.» Völlig Fremde zögerten nicht, bei ihm Einlass zu begehren. Schließlich und ziemlich plötzlich war Kerouac doch noch ins Blickfeld geraten, aber nur, wie er lamentierte, um von Kritikern «zerfetzt» und verständnislosen Fans «in Stücke gerissen» zu werden. Und da er auch nach eigener Einschätzung seit den späten Jugendjahren ein Alkoholproblem hatte, brannte 1957 sein Lebenslicht schon geraume Zeit von beiden Seiten. Norman Mailer, ein eher unangenehmer Rivale, mochte ihn bei einem Treffen gut leiden und nahm das Air von Erschöpfung wahr, das Kerouac umgab – was Mailer nach eigenen Worten nicht überraschte bei einem Pionier, «dem Vorreiter einer neuen Generation», der in Gefilde gereist war, «wo Adrenalin das Blut verzehrt». Mailer selbst war ein Liebling der Kritiker und viel zu klug, um den offenkundigen Unterschied zwischen ihnen beiden nicht zu bemerken: Kerouac hatte mehr als zehn Jahre damit verbracht, per Anhalter und auf Güterzügen quer durch Amerika und Mexiko zu reisen, «da draußen zu sein und es zu leben», während er zu Hause geblieben und «ein Intellektueller [war], der darüber schrieb».
Kerouacs kreativer Ausstoß hielt auch zwischen 1955 und 1957 an, den Jahren seiner engsten Freundschaft mit Snyder, doch sollte Gammler, Zen und hohe Berge , im November 1957 geschrieben und im Herbst des folgenden Jahres veröffentlicht, erst vier Jahre später einen Nachfolger finden: Big Sur (1962) spielt wie Gammler, Zen und hohe Berge im nördlichen Kalifornien und ist eine großartig geschriebene Geschichte der Verzweiflung, sein letztes Meisterwerk, obschon nicht das letzte Buch, bevor er am 21. Oktober 1969 in Florida einen schrecklichen, bitteren Alkoholikertod starb. Zu diesem
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