Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Zeitpunkt waren die meisten seiner Bücher schon wieder vergriffen. Die Geringschätzung der Kritiker hatte, im Verein mit Kerouacs Naivität, zu ständig rückläufigen Einnahmen geführt. Mailer hatte 35 000 Dollar für die Taschenbuchrechte von Die Nackten und die Toten bekommen (1948), James Jones 100 000 Dollar für Verdammt in alle Ewigkeit (1951), aber Kerouac erhielt lediglich einen Vorschuss von 1000 Dollar für die Rechte an Unterwegs , einem Hardcover-Bestseller. Seine beiden Verträge mit Hollywood (für Unterwegs und Bebop, Bars und weißes Pulver ) waren auch nicht viel lukrativer. Mitte der Sechziger bezifferte Kerouac sein wöchentliches Einkommen auf 65 Dollar.
Kerouac war sich seines eigenen Niedergangs qualvoll bewusst und ehrlich genug, ihn nicht allein ausfälligen Kritikern und Fans, die ihn auffressen wollten, anzulasten. Der Zeitpunkt, an dem er «die Kehrtwende von einem jugendlich unerschrockenen Sinn für Abenteuer hin zu völligem Überdruss an den Erfahrungen mit der Welt … einen Umschwung » sieht, ist für ihn nicht die Publikation von Unterwegs , sondern die Monate direkt nach Snyders Aufbruch Richtung Japan im Mai 1956, wo dieser ein Zen-Studium aufnahm. In jenem Sommer versuchte er, auf Snyders Vorschlag hin, in dessen Fußstapfen zu treten und verbrachte zwei Monate in völliger Abgeschiedenheit als Feuerausguck auf dem Desolation Peak im Mount Baker National Forest im Bundesstaat Washington, nur ein paar Kilometer südlich der Grenze zu Kanada. Seine dortigen Erlebnisse beschrieb er in Gammler, Zen und hohe Berge und noch einmal ausführlicher und eindringlicher in Desolation Angels (1965). Snyder hielt sich mit Unterbrechungen bis Ende der Sechziger in Japan auf, und obwohl die beiden zunächst regelmäßig miteinander korrespondierten und von Kerouac bis Mitte der Sechziger gelegentlich ein betrunkener Anruf kam, für den er sich anschließend entschuldigte, haben die beiden Männer sich nie wieder getroffen. Aber Snyder, in Kerouacs Augen die Verkörperung der wahrhaftigsten und am wenigsten selbstbezogenen Form des amerikanischen Optimismus, und Kerouacs sich überschlagende, gefühlvolle Hommage an ihn markieren die Mitte von Kerouacs Karriere, den Augenblick, als er zwischen jahrelanger Unbekanntheit und einer noch destruktiveren traurigen Berühmtheit schwebte, bevor – mit den Worten von F. Scott Fitzgerald – «die Herrschaft des Scheiterns» ihm für immer alle Chancen nahm, die er möglicherweise gehabt hätte, um in den Genuss der «Herrschaft des Erfolgs» zu kommen. Kerouac glaubte zuzeiten, Snyder sei seine letzte Hoffnung. «Ich brauche mehr von deinem Frohsinn und deiner Bhikkhu-Offenheit», schrieb Jack ihm im Februar 1956. Anfang 1959 fühlte er sich zu «beschämt», um Snyder zu treffen: «Ich bin völlig dekadent und betrunken und istmirallesegal.» Zehn Monate später berichtete er Ginsberg: «Ich muss es jetzt unbedingt eine Zeitlang wie Gary machen, eine ziemlich lange Zeitlang. Das meine ich ernst.»
Kein Schriftsteller ist jemals weiter gereist, während er seiner Heimat doch so verbunden blieb. Er war zwar drei Mal verheiratet und hatte auch ein Kind (die verstorbene Autorin Jan Kerouac), aber die beiden ersten Ehen hielten nur kurz, und sein Kind sah er überhaupt nur ein einziges Mal. Wenn er nicht unterwegs war, verbrachte er den größten Teil der Zeit mit seiner sturen und durchtriebenen Mutter Gabrielle (sein Vater, Leo, war 1946 gestorben), die in Schuhfabriken arbeitete und ihren Sohn bis zum Alter von 35 finanziell unterstützte. Andere mochten in den Zeiten des Kalten Krieges als Angestellte mit Kleinfamilie in der Vorstadt einem geregelten Arbeitsalltag nachgehen; Kerouac aber wollte lieber abhängig sein, als sich der Heuchelei einer aufgezwungenen Mündigkeit zu ergeben. «Die Kindheit», sagte Kerouac und zitierte damit Ralph Waldo Emerson, «passt sich an nichts an.» Sogar als er nach Unterwegs genug Geld zum Kauf eines Hauses hatte, in dem er mit seiner Mutter leben wollte, war das in seinen Augen immer ihr Haus und nie seines. Kerouacs literarische Vorbilder waren Thomas Wolfe, Herman Melville, James Joyce, Louis-Ferdinand Céline und Fjodor Dostojewski, doch seine eigene Rolle, ja sich selbst als Person, sah er eher als Boswell, Sancho Pansa oder Pip, das Kind, das Ahab auf seiner zum Scheitern verurteilten Suche nach dem weißen Wal begleitete und das darüber dem Wahnsinn verfällt. Kerouacs Aufgabe war es,
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