Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Neal Cassady, und nicht Snyder, im Mittelpunkt stehen. Und einem Freund vertraute Kerouac an, in der Nacht nach der Lesung in der Six Gallery sei er in «das wüsteste Saufgelage meines Lebens» geraten, und als er wieder zu sich kam, hätte er Grind im Gesicht gehabt. Trotzdem wird der Alkoholkonsum, der im wahren Leben einen so großen Anteil am Bruch der Freundschaft mit Snyder hatte, nur als eher nebensächlicher, wenn auch heikler Punkt zwischen Freunden behandelt. Spät im Jahr 1961 versicherte Kerouac Snyder, dass dieser sein neues Buch Big Sur , wo ein betrunkener Kerouac offensichtlich weder Einsamkeit noch Gesellschaft zu ertragen in der Lage ist, besser finden würde als Gammler, Zen und hohe Berge ; es sei «ehrlicher».
Kerouacs Zurückhaltung, was persönliche Enthüllungen in Gammler, Zen und hohe Berge betrifft, hat ihren Preis, und da sind an erster Stelle die frauenfeindlichen Misstöne zu nennen. Obwohl Kerouac sich immer mehr für seine männlichen Charaktere interessierte, kompensierte er das in seinen anderen Büchern – am deutlichsten in The Subterraneans (1958) – durch einen offenen Umgang mit seiner eigenen verunsicherten Männlichkeit, seinen homosexuellen Anwandlungen und so weiter. Der Leser ist aufgefordert, eine Angst vor und Herabsetzung von Frauen zu begreifen, die Kerouac selbst so nicht gebilligt hätte. Aber diese Art von Selbstbefragung findet in Gammler, Zen und hohe Berge nicht statt. Ray lässt uns fast nebenbei wissen, dass Princess, eine von Japhys vielen Freundinnen, mit allen Männern schläft, die sie trifft, denn sie weiß, dass sie selbst nie ein Boddhisatva werden kann, weil sie eine Frau ist. Ray, der zwischen seinem Zölibatsgelöbnis und dem Neid auf Japhys sexuelle Leistungsfähigkeit hin- und hergerissen ist, sagt «hübsche Mädchen fabrizieren Gräber» und meint damit, dass Geburt oder Fortpflanzung die Ursache des Todes sind; dem Leser wird aber vorenthalten, wie es sich anfühlt, dieser Überzeugung zu sein. Der ethnisch nichtssagende Name «Ray Smith» ist eine Ausnahme in Kerouacs Werken nach The Town and The City , obwohl er ihn ursprünglich für Sal Paradise, sein Alter Ego in Unterwegs, vorgesehen hatte. Als frankokanadischer Irokesen-Indianer fühlte Kerouac sich selbst einer Minorität zugehörig, und davon wich er keinen Zentimeter ab. Selbst Sal hat italienische Vorfahren; wenn Ray irgendetwas anderes sein sollte als ein englischstämmiger Amerikaner, dann erfahren wir es zumindest nicht. Außerdem, und das ist wirklich eine Besonderheit, erfahren wir kaum etwas über Rays Kindheit.
Und doch machen dieser Mangel an Subjektivität und die damit einhergehende merkwürdige erzählerische Leere auch den besonderen und großartigen Charme von Gammler, Zen und hohe Berge aus. In Kerouacs anderen Büchern ist die Kindheit auch deshalb zwangsläufig ein Thema, weil der Erzähler erklärtermaßen ein Erwachsener ist, der sich darüber aufregt, dass die Zeit der Unschuld vorüber ist. Niemand erwartet von Kindern, dass sie schlüssige politische und philosophische Ansichten haben oder Selbstanalyse betreiben. Von Kindern wird nicht erwartet, dass sie sich selbst versorgen können, dauerhafte Beziehungen eingehen und Sex haben, geschweige denn heiraten. Und im Allgemeinen betrinken Kinder sich nicht regelmäßig. Und wenn Erwachsene Kinder zu solchen Dingen zwingen, dann begehen sie ein Verbrechen, sowohl gegen die Natur als auch das Gesetz. Kerouacs Romane Visions of Gerard (1963), Maggie Cassidy (1959) und Verschwörung des Dulouz (1967), die ganz bewusst aus der Perspektive eines Alkoholikers und desillusionierten Erwachsenen erzählt werden, sind verkappte Kriminalromane – wer ermordete Ti-Jean und warum? Und als derjenige, dem der Schaden zugefügt wurde, ist der erwachsene Jack für den Staatsanwalt Beweisstück Nr. 1. Doch in Gammler, Zen und hohe Berge kann Ray für ein paar kurze Augenblicke die Wonnen der Kindheit zurückgewinnen. Seine Ängste und seine Trunksucht, ja sogar die Spannungen, die gelegentlich zwischen Japhy und Ray zutage treten, kann er im Bann von Japhys vor Gesundheit strotzender Lebenslust zumindest vorläufig unter Kontrolle bekommen. Auch dieser Zauber wird schließlich verfliegen, aber die Desillusionen sind hier hintangestellt, werden nicht heraufbeschworen. Kerouacs Persona, die immer aufscheint und sich einmischt, tritt hier in den Hintergrund; er hat sich ihrer entledigt, um Japhy und dem Überschwang Platz zu
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