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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Ausbesserungstrupps gearbeitet, Smith, ich kann einen Pfad in so einem Zustand einfach nicht ertragen.» Als wir höher kamen, erschien allmählich auch der See unter uns, und plötzlich konnten wir in seinem klaren Blau auch die tiefen Löcher sehen, wo der See seine Quellen hatte, wie schwarze Brunnen, und wir konnten Fischschwärme unter der Wasserfläche hin und her huschen sehen.
    «Oh, das ist wie ein Morgen in China. Es ist noch früh, und ich bin fünf Jahre alt in der Zeit, die keinen Anfang hat», sang ich, und ich hätte mich am liebsten neben dem Pfad hingesetzt, mein kleines Notizbuch hervorgezogen, um meine Eindrücke zu skizzieren.
    «Sieh mal da rüber!», sang Japhy. «Gelbe Espen. Dabei fällt mir ein Haiku ein … ‹Das literarische Leben – ist es nicht wie gelbe Espen?›» Wenn man in einer solchen Gegend wandert, ist man in der Lage, die Haikus, die die orientalischen Dichter geschrieben haben, zu verstehen. Sie haben sich nie in den Bergen betrunken oder so was. Sie sind nur einfach da entlanggegangen, frisch wie die Kinder, und haben niedergeschrieben, was sie sahen, ohne literarische Umschweife oder stilistische Kunststücke, jedes Gedicht ein vollendetes Juwel! Wir dachten uns Haikus aus, während wir hinaufstiegen und uns an windschiefen Büschen vorbei höher und höher schlängelten.
    «Die Felsen dort am Rand der Klippe», sagte ich, «warum stürzen sie nicht ins Tal?»
    «Vielleicht ist das ein Haiku, vielleicht auch nicht, möglicherweise ist es ein bisschen zu kompliziert», sagte Japhy. «Ein richtiges Haiku muss so einfach sein wie Porridge, und dennoch muss es deinen Blick auf das Wesen der Dinge lenken. Denk nur mal an das Haiku, das vielleicht das größte von allen ist. Es geht so: ‹Der Sperling hüpft die Veranda entlang. Seine Füße sind nass.› Von Shiki. Du siehst die nassen Fußspuren wie eine Vision vor deinem geistigen Auge, und doch siehst du in diesen paar Worten auch den ganzen Regen, der an dem Tag gefallen ist, und beinahe riechst du die nassen Tannennadeln.»
    «Sag noch eines.»
    «Diesmal will ich mir selbst eines ausdenken. Lass mal sehen. ‹Unten der See – schwarze Löcher wie Brunnen –›, nein, das ist kein Haiku, verdammt nochmal! Man kann bei Haikus nicht vorsichtig genug sein.»
    «Wie wäre es, wenn du dir mal ganz schnell während des Wanderns eines ausdenkst, spontan?»
    «Sieh dir das mal an!», rief er glücklich. «Berglupinen! Was für eine zartblaue Farbe diese kleinen Blumen doch haben! Und da drüben blüht kalifornischer Mohn. Die ganze Wiese ist wie bepudert mit Farbe. Da oben wächst übrigens noch die echte kalifornische Föhre, die sieht man jetzt nur noch selten.»
    «Du hast ja verdammt Ahnung von Vögeln und Bäumen und solchen Sachen.»
    «Ich habe mich mein Leben lang damit beschäftigt.» Als wir weiterkletterten, wurden wir dann immer freier und gelöster und redeten immer mehr komisches und albernes Zeug, und bald kamen wir an eine Stelle, wo der Weg einen Bogen machte, und da war es plötzlich dunkel und schattig, und ein gewaltiger Wasserfall brauste und schäumte über glitzernde Felsen und stürzte nach unten, und ein heruntergefallener knorriger Ast bildete eine vollendete Brücke über das Wasser. Wir traten auf den Ast und legten uns dann auf den Bauch und tunkten unseren Kopf ins Wasser. Die Haare wurden nass, und wir tranken in tiefen Zügen, während das Wasser uns ins Gesicht spritzte. Ich lag gut eine lange Minute da und genoss die plötzliche Kühle.
    «Das ist wie eine Reklame für Rainier Ale», rief Japhy.
    «Lass uns einen Augenblick sitzen bleiben und genießen.»
    «Junge, du hast ja keine Ahnung, wie weit es noch ist.»
    «Ich bin überhaupt nicht müde.»
    «Keine Angst. Das wird schon noch kommen, Tiger!»

9. Kapitel
    Wir gingen weiter, und ich war unendlich froh darüber, denn jetzt, am frühen Nachmittag, sah der Bergpfad wie etwas Ewiges aus. Der Hang des grasüberwachsenen Hügels schien wie mit uraltem Goldstaub bedeckt, die Käfer krabbelten über die Felsen, und der Wind strich in flimmernden Tänzen über das heiße Gestein, und der Pfad führte plötzlich an einen kühlen, schattigen, von großen Bäumen überhangenen Ort, und wie es hier dunkler war, und wie der See unter uns bald ein Spielzeugsee wurde, und wie die schwarzen Brunnenlöcher immer noch vollkommen sichtbar blieben und riesige Wolkenschatten über dem See … und der tragische kleine Weg verlor sich nach unten, dorthin,

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