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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Westen erstreckte und dann steil abfiel, meinetwegen bis zu den Sägespäneböden von Virginia City. Es war irrsinnig. Ich konnte hören, wie er mir etwas zurief, aber ich schmiegte mich nur zitternd tiefer in meinen schützenden Winkel. Ich sah auf den kleinen See herab, wo Morley auf dem Rücken lag mit einem Grashalm im Mund, und ich sagte laut: «Das ist das Karma dieser drei Männer hier: Japhy Ryder kommt bis zu seinem triumphalen Berggipfel und schafft es. Ich schaffe es beinah und muss aufgeben und mich in eine verfluchte Höhle kauern, aber der Schlaueste von allen ist dieser Dichterdichter, der da unten liegt, die Knie zum Himmel kreuzt, auf einer Blume kaut und an einem rauschenden Strand träumt. Verdammt nochmal, die kriegen mich hier nie wieder rauf.»

12. Kapitel
    Ich war jetzt wirklich erstaunt über Morleys Weisheit. ‹Der mit all seinen gottverdammten Bildern von den schneebedeckten Schweizer Alpen›, dachte ich.
    Dann plötzlich war alles wie Jazz: Es passierte in einer oder zwei wahnwitzigen Sekunden: Ich blickte auf und sah, wie Japhy den Berg herunterrannte, mit riesigen Sätzen von fünf bis sechs Metern, er rannte, sprang, landete mit großem Schwung auf seinen Stiefelhacken, federte fast zwei Meter weiter, segelte dann wieder mit einem langen, irren Jodelgeschrei die Wände der Welt hinunter, und in dem Augenblick wurde mir blitzartig klar: Es ist unmöglich, von Bergen abzustürzen, du Idiot , und mit einem eigenen Jodelruf stand ich plötzlich auf und fing an, den Berg hinabzurennen, ihm nach, mit genau denselben riesigen Sätzen, denselben fantastischen Läufen und Sprüngen, und nach fünf Minuten schätzungsweise kamen Japhy Ryder und ich angerannt (ich in meinen Tennisschuhen, deren Hacken ich in Sand, Stein und Felsblöcke hineinstieß, es machte mir nichts mehr aus, so wild war ich darauf, hinunterzukommen und weg von da), wir hüpften und schrien wie Bergziegen, oder besser gesagt wie chinesische Verrückte vor tausend Jahren geschrien haben, es reichte, um Morley, der beim See meditierte, die Haare zu Berge stehen zu lassen, er sagte, er hätte hochgeguckt und uns herunterfliegen sehen und hätte seinen Augen nicht getraut. Tatsächlich kam ich mit einem meiner größten Sätze und lautesten Freudenschreie bis direkt an das Ufer des Sees geflogen, grub meine Tennisschuhe mit den Hacken in den Schlamm und fiel hin und blieb sitzen, glücklich. Japhy war schon dabei, sich die Schuhe auszuziehen und Sand und Steine auszukippen. Es war das Größte. Ich zog meine Tennisschuhe aus und kippte ein paar Eimer Lavastaub aus und sagte: «Ach Japhy, du hast mir die allerletzte Lehre beigebracht: Man kann nicht von einem Berg abstürzen.»
    «Und das ist der Sinn des Spruches: Wenn du auf den Gipfel eines Berges kommst, klettere weiter, Smith.»
    «Verdammt nochmal, dieser triumphierende Jodel von dir war das Schönste, das ich je in meinem Leben gehört habe. Ich wollte, ich hätte ein Tonbandgerät gehabt, um ihn aufzunehmen.»
    «Solche Dinge sind nicht dazu da, von den Leuten unten gehört zu werden», sagte Japhy todernst.
    «Mein Gott, du hast recht, all diese auf ihren Kissen festgewachsenen Gammler haben es nicht verdient, sich den Schrei des triumphierenden Bergbezwingers anzuhören. Aber als ich hochguckte und dich den Berg runterlaufen sah, verstand ich plötzlich alles.»
    «Sieh mal an, Smith hat heute seine kleinen Erleuchtungen», sagte Morley.
    «Was hast du hier unten gemacht?»
    «Hauptsächlich geschlafen.»
    «Verdammt nochmal, ich bin nicht bis zum Gipfel gekommen. Jetzt schäme ich mich, denn weil ich jetzt weiß, wie ich von einem Berg runter komme, weiß ich auch, wie ich rauf komme und dass ich nicht abstürzen kann, aber nun ist es zu spät.»
    «Wir kommen nächsten Sommer wieder und klettern ganz rauf. Bist du dir darüber im Klaren, dass dies deine erste Bergtour war und dass du den alten Veteranen Morley weit hinter dir gelassen hast?»
    «Klar», sagte Morley. «Glaubst du, Japhy, sie würden Smith für das, was er heute geleistet hat, den Titel ‹Tiger› verleihen?»
    «Oh, bestimmt», sagte Japhy, und ich war richtig stolz. Ich war Tiger.
    «Verdammt nochmal, nächstes Mal, wenn wir herkommen, werde ich Löwe.»
    «Gehen wir, Leute, wir haben jetzt noch einen langen, langen Weg vor uns, durch dies Geröll runter zu unserem Lager und durch das Tal mit den Felsblöcken und dann den Pfad beim See runter, Mensch, ich glaube kaum, dass wir es schaffen, bevor es

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