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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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stockdunkel wird.»
    «Es wird schon gehen.» Morley zeigte auf die Mondsichel am Himmel, der sich rosa und immer tiefer blau färbte. «Das wird uns schon heimleuchten.»
    «Also los.» Wir standen alle auf und machten uns auf den Rückweg. Als ich jetzt um den Felsvorsprung herumging, der mir Angst gemacht hatte, war das einfach ein Kinderspiel; ich hüpfte und sprang und tanzte durch die Gegend, und ich hatte wirklich gelernt, dass man von einem Berg nicht abstürzen kann. Ob man von einem Berg abstürzen kann oder nicht, weiß ich nicht, doch ich hatte gelernt, dass man es nicht kann. So kam es mir jedenfalls vor.
    Es war trotzdem eine Freude, in das Tal hinunterzukommen und diesen ganzen offenen, allumfassenden Himmelsraum aus den Augen zu verlieren und schließlich, als es gegen fünf Uhr zu dämmern anfing, etwa 100 Meter von den anderen entfernt allein zu laufen und sich singend und nachdenkend den Weg durch die Felsblöcke zu suchen, immer entlang an den kleinen schwarzen Köteln des Wildes, das hier wechselt, ohne vorausdenken oder vorausschauen oder sich Sorgen machen zu müssen, nur den kleinen runden Köteln des Wildes mit niedergeschlagenen Augen zu folgen und sich des Lebens zu freuen. Einmal sah ich, wie Japhy, der Irre, aus Spaß auf einen Schneehang geklettert war und ganz bis unten herunterschlitterte, rund 100 Meter, auf seinen Stiefeln und die letzten Meter auf dem Rücken, mit einem Freudengeheul und glücklich. Nicht nur das, er hatte sich wieder die Hosen ausgezogen und um den Hals gewickelt. Diese Sache mit den Hosen war einfach der Bequemlichkeit halber, sagte er, und das stimmt; außerdem war sowieso keiner da, der ihn gesehen hätte, obwohl ich mir vorstellen konnte, dass es ihm auch egal war, wenn er mit Mädchen auf Bergtouren ging. Ich konnte hören, wie Morley mit ihm in dem großen, einsamen Tal redete: Selbst über die Felsen hinweg konnte man erkennen, dass es seine Stimme war. Schließlich folgte ich meinem Wildpfad mit solchem Eifer, dass ich ganz allein am Bergrücken entlang und runter durch Bachtäler wanderte, ich hatte sie völlig aus den Augen verloren, obwohl ich sie hören konnte, aber ich vertraute dem Instinkt meines lieben, kleinen, tausendjährigen Wildes, und wahrhaftig, gerade, als es dunkel wurde, führte mich sein alter Pfad direkt an die Ufer des vertrauten seichten Baches (wo das Wild seit fünftausend Jahren haltgemacht hatte, um zu trinken), und da war schon Japhys Lagerfeuer, in dessen Schein der große Fels orangefarben und lustig aussah. Der Mond war hell hoch am Himmel. «Mit dem Mond haben wir Schwein, wir haben noch zwölf Kilometer Abstieg vor uns, Leute.»
    Wir aßen ein bisschen und tranken viel Tee und ordneten unser ganzes Zeug. Ich war nie in meinem Leben glücklicher gewesen als in jenen einsamen Augenblicken, in denen ich den kleinen Wildpfad runterkam, und als wir mit dem Gepäck loswanderten, drehte ich mich um, um ein letztes Mal nach da oben zu schauen, es war jetzt dunkel. Ich hoffte, ein paar liebe kleine Tiere zu sehen, nichts in Sicht, und ich dankte allem da oben. Es war so wie damals gewesen, als ein kleiner Junge den ganzen Tag damit verbracht hat, allein durch Wald und Feld zu streifen, und beim Heimweg in der Dämmerung behält man die Augen immer am Boden, schlurrt mit den Füßen, denkt nach, pfeift – ein Gefühl, wie es kleine Indianerjungen gehabt haben müssen, wenn sie vor 200 Jahren den langen Schritten ihrer Väter vom Russian River nach Shasta gefolgt sind; wie kleine Araberjungen, die ihren Vätern folgen, den Spuren ihrer Väter; jene unbeschwerte, fröhliche, kleine Einsamkeit mit schniefender Nase, wie wenn ein kleines Mädchen ihren kleinen Bruder auf dem Schlitten nach Hause zieht, und sie singen beide kleine, selbst ausgedachte Lieder und schneiden dem Erdboden Fratzen und sind ganz einfach sie selbst, bevor sie in die Küche gehen und für die Welt des Ernstes wieder ein ernsthaftes Gesicht aufsetzen müssen. ‹Aber was kann es denn Ernsteres geben, als einem Wildpfad zu folgen, um an Wasser zu kommen?›, dachte ich. Wir kamen an den Steilhang und machten uns an den Abstieg durch das acht Kilometer lange Tal mit den Felsblöcken, jetzt im klaren Mondschein, es war ganz leicht, von Felsblock zu Felsblock hinabzutanzen, die Blöcke waren schneeweiß mit tiefschwarzen Schattenflecken. Alles war im Mondschein schön in seiner Sauberkeit und Weiße. Manchmal konnte man das silberne Aufblitzen des Baches sehen. Tief

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