Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
keuchend, schwitzend in dem kalten Wind, hoch oben auf dem Dach der Welt, und wir schnieften wie kleine Jungen, wenn sie an einem späten Sonnabendnachmittag im Winter ihre letzten kleinen Spiele spielen. Der Wind fing jetzt an zu heulen wie in Filmen über das Leichentuch Tibet. Es wurde zu steil für mich; ich hatte jetzt Angst, mich umzusehen; ich linste vorsichtig: Ich konnte nicht einmal Morley bei dem kleinen See erkennen.
«Beeil dich», rief Japhy 30 Meter weiter vorn. «Es wird furchtbar spät.» Ich blickte zum Gipfel hinauf. Er war genau vor uns. In fünf Minuten würde ich da sein. «Nur noch eine halbe Stunde!», rief Japhy. Ich wollte es nicht glauben. Nachdem ich fünf Minuten wütend aufwärtsgekrochen war, fiel ich hin und guckte hoch, und der Gipfel war noch genauso weit weg. Was mir an diesem Berggipfel nicht gefiel, war, dass die Wolken der ganzen Welt gerade über ihn hinwegfegten, wie Nebel. «Könnte da oben sowieso nichts sehen», murmelte ich. «Warum habe ich mich bloß auf so was eingelassen?» Japhy war nun weit vor mir, er hatte die Erdnüsse und Rosinen bei mir gelassen, und es lag eine Art einsamer Feierlichkeit darin, wie er jetzt entschlossen war, den Gipfel zu stürmen, und wenn er dabei umkam. Er setzte sich nicht mehr hin. Bald war er 100 Meter, ein ganzes Footballfeld, vor mir und wurde immer kleiner. Ich sah mich um, und wie Lots Frau gab mir das den Rest. «Das ist zu hoch!» , schrie ich Japhy in einem Anfall von Panik zu. Er hörte mich nicht. Ich rannte ein paar Meter weiter und fiel erschöpft auf den Bauch, wobei ich ein kleines Stück wieder runterrutschte. «Das ist zu hoch!» , schrie ich. Ich hatte wirklich Angst. Angenommen, ich würde jetzt endgültig runterrutschen, dieser Schutt könnte sowieso jeden Augenblick ins Rollen kommen. Japhy, diese verdammte Bergziege, ich konnte sehen, wie er durch die nebelige Luft von Felsbrocken zu Felsbrocken weiter nach oben sprang, nach oben, nach oben, nichts als die blitzartige Bewegung seiner Stiefelabsätze. «Wie kann ich mit so einem Besessenen mithalten?» Aber in irrer Verzweiflung folgte ich ihm. Schließlich kam ich zu einer Art Sims, wo ich auf einer waagerechten Fläche sitzen konnte, anstatt mich festklammern zu müssen, um nicht runterzurutschen, und ich schmiegte mich mit dem ganzen Körper hinein, nur, um da einen festen Halt zu bekommen, sodass der Wind mich nicht fortwehen konnte, und ich blickte nach unten und um mich herum, und ich war fertig. «Ich bleibe hier!» , schrie ich Japhy zu.
«Los, komm, Smith. Nur noch 5 Minuten. Ich habe nur noch 30 Meter vor mir!»
«Ich bleibe hier! Es ist zu hoch!»
Er sagte nichts und ging weiter. Ich sah ihn zusammenbrechen und keuchen und wieder aufstehen und weiterrennen. Ich schmiegte mich enger an den Sims und schloss die Augen und dachte ‹Oh, was ist das für ein Leben? Warum werden wir überhaupt geboren? Doch nur zu dem Zweck, dass unser armes, vergängliches Fleisch so unmöglichen Schrecknissen wie gewaltigen Bergen und Felsen und leerem Raum ausgesetzt werden kann›, und mit Schrecken erinnerte ich mich des berühmten Zen-Spruches: «Wenn du auf den Gipfel eines Berges kommst, klettere weiter.» Die Haare standen mir zu Berge, als ich an den Spruch dachte; es war ein so intelligenter, poetischer Gedanke gewesen, als wir auf Alvahs Strohmatten saßen. Jetzt griff er mir ans Herz, sodass es wild schlug, blutete, weil ich überhaupt geboren war. ‹Wahrhaftig, wenn Japhy auf diese Bergspitze hinaufkommt, dann wird er wirklich weiterklettern, so wie der Wind jetzt bläst. Na, ich alter Philosoph bleibe hier›, und ich schloss die Augen. ‹Außerdem›, dachte ich, ‹bleib ruhig und freundlich, du brauchst nichts zu beweisen.› Plötzlich hörte ich im Wind ein schönes, gebrochenes Jodeln von einer seltsamen musikalischen und mystischen Intensität, und ich blickte auf, und da stand Japhy auf dem Gipfel des Matterhorns und ließ seinen triumphierenden, bergbezwingenden Buddha-Berg-Zerschmetter-Freudengesang erschallen. Es war schön. Es war auch komisch, da oben auf dem gar nicht so komischen Dach von Kalifornien und in all dem wehenden Nebel. Aber das musste ich ihm lassen, den Mut, die Ausdauer, den Schweiß, und jetzt den verrückten menschlichen Gesang: die Schlagsahne auf dem Eis. Ich hatte nicht genug Kraft, sein Jodeln zu beantworten. Er lief da oben umher und verschwand, um das kleine Plateau zu erkunden, das sich, wie er sagte, ein paar Meter nach
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