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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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betrunken und fuhr sehr schnell.
    «Ich muss auf die Toilette», murmelte ich vor mich hin. Das Erlebnis hatte mich genervt, darum beschloss ich: ‹Zum Teufel mit der Tramperei, ich hab genug Geld, mir einen Bus nach El Paso zu nehmen, und von da aus springe ich auf Southern-Pacific-Güterzüge und bin zehnmal sicherer.› Außerdem gab der Gedanke, ganz draußen in El Paso, Texas, zu sein, im trockenen Südwesten mit klarem, blauem Himmel und endlosem Wüstenland zum Schlafen, keine Cops, für mich den Ausschlag. Ich war darauf bedacht, aus dem Süden rauszukommen, aus Georgia mit seinen Sträflingslagern.
    Der Bus kam um vier Uhr, und wir waren um Mitternacht in Birmingham, Alabama, wo ich auf einer Bank meinen nächsten Bus abwartete und mit den Armen auf dem Rucksack zu schlafen versuchte, aber immer wieder aufwachte, um die bleichen Gespenster amerikanischer Busbahnhöfe umherwandern zu sehen: Eine Frau wehte tatsächlich wie eine Rauchfahne vorbei, ich war absolut sicher, dass wenigstens sie mit Gewissheit nicht existierte. Auf ihrem Gesicht der spukhafte Glaube an das, was sie tat … Auf meinem Gesicht übrigens auch. Nach Birmingham kam bald Louisiana und dann die Ölfelder im östlichen Texas, dann Dallas, dann eine lange Tagesfahrt in einem Bus voller Soldaten über die weite, unermessliche Einöde von Texas, bis zu ihrem Ende, El Paso, Ankunft um Mitternacht, inzwischen war ich so erschöpft, dass ich nur noch schlafen wollte. Aber ich ging nicht in ein Hotel, ich musste jetzt auf mein Geld achten und hievte stattdessen den Rucksack auf den Rücken und wanderte geradewegs zum Bahnhofsgelände, um meinen Schlafsack irgendwo hinter den Geleisen auszubreiten. Da, in jener Nacht, verwirklichte ich den Traum, der mich veranlasst hatte, den Rucksack zu kaufen.
    Es war eine herrliche Nacht und der herrlichste Schlaf meines Lebens. Zuerst ging ich zum Bahnhofsgelände und überquerte es, vorsichtig, hinter Reihen von Güterwagen, und kam am Westende des Bahnhofs wieder raus, aber ging weiter, weil ich plötzlich im Dunkeln sah, dass da draußen tatsächlich eine Menge Wüste lag. Ich konnte Felsen sehen und bedrohliche Berge von trockenem Gebüsch undeutlich im Sternenlicht. ‹Warum zwischen Brücken und Geleisen rumhängen›, überlegte ich, ‹wenn ich nur ein paar Schritte weiter gehen muss und in Sicherheit bin; da erwischen mich keine Bahnhofscops, und Gammler treffe ich da bestimmt auch nicht.› Ich folgte einfach ein paar Kilometer dem Hauptgleis, und bald war ich im offenen Wüsten- und Bergland. Mit meinen dicken Stiefeln ließ es sich auf den Bahnschwellen und Steinen gut wandern. Es war jetzt ungefähr ein Uhr morgens, ich sehnte mich danach, von der langen Reise auszuschlafen. Endlich sah ich zur Rechten einen Berg, der mir gefiel, nachdem ich an einem langen Tal vorbeigekommen war, mit vielen Lichtern drin, offensichtlich ein Zuchthaus oder Gefängnis. ‹Halte dich von dem Gelände da fern, mein Sohn›, dachte ich. Ich ging ein trockenes Bachbett hinauf, und im Sternenlicht waren der Sand und die Felsen weiß. Ich stieg und stieg.
    Plötzlich merkte ich zu meiner Freude, dass ich völlig allein und sicher war und dass mich die ganze Nacht hindurch niemand aufwecken würde. Was für eine verblüffende Offenbarung! Und ich hatte alles, was ich brauchte, auf dem Rücken; ich hatte am Busbahnhof frisches Wasser in meine Kunststoffflasche getan, bevor ich losgegangen war. Ich stieg das Bachbett hinauf, sodass ich schließlich, als ich mich umdrehte und zurückblickte, ganz Mexiko, ganz Chihuahua sehen konnte, die gesamte sandglitzernde Wüste, unter einem späten, untergehenden Mond, der riesig und hell eben über den Chihuahua-Bergen stand. Die Southern-Pacific-Strecke verläuft außerhalb von El Paso genau parallel zum Rio Grande, so konnte ich, wo ich stand, auf der amerikanischen Seite, direkt auf den Fluss hinabsehen, der die beiden Grenzen trennt. Der Sand im Bachbett war weich wie Seide. Ich breitete meinen Schlafsack darauf aus und zog die Schuhe aus und trank einen Schluck Wasser und zündete meine Pfeife an und legte die Beine über Kreuz und war glücklich. Nicht ein Geräusch; es war noch Winter in der Wüste. In der Ferne nur das Geräusch vom Bahnhof, wo sie die Waggons mit einem großen «Wommm» zusammenrangierten, das ganz El Paso aufweckte, aber nicht mich. Der Einzige, der mir Gesellschaft leistete, war der Mond von Chihuahua, der zusehends tiefer sank, sein weißes Licht verlor

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