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Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)

Titel: Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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dachte ernsthaft darüber nach. Er war der ernsthafteste Mensch auf der Welt. Er dachte die ganze Nacht darüber nach und sagte am nächsten Morgen: «Letzte Nacht sah ich mich als Fisch durch die Leere der See schwimmen, mich nach links oder rechts im Wasser drehen, ohne die Bedeutung von links und rechts zu kennen, sondern ich tat es auf Geheiß meiner Finne, das heißt meines Drachenschwanzes, ich bin also ein Buddhafisch, und meine Finne ist meine Weisheit.»
    Während all dieser Partys verzog ich mich immer, um ein Schläfchen zu halten, nicht unter meinem Rosenstrauch, der den ganzen Tag in der heißen Sonne stand, sondern unter den Eukalyptusbäumen; im Schatten der Bäume ruhte ich gut. Eines Nachmittags, als ich so in die obersten Zweige dieser ungeheuer hohen Bäume starrte, bemerkte ich mit einem Male, dass die höchsten Zweige und Blätter verträumte, glückliche Tänzer waren, froh, dass man ihnen den Wipfel zugeteilt hatte, und mit der ganzen, alles durchschauenden Erfahrenheit des schwankenden Baumes unter sich machten sie aus ihrem Tanz, aus jedem Zucken ihres Tanzes eine riesige und gemeinschaftliche und geheimnisvolle Notwendigkeit, und so schwebten sie dort oben in der Leere und tanzten den tieferen Sinn des Baumes. Ich bemerkte, wie die Blätter beinahe menschlich aussahen in ihrer Art, sich zu neigen und dann aufzuspringen und dann verträumt von Seite zu Seite zu schwanken. Es war eine verrückte Vision, aber schön. Ein anderes Mal träumte ich unter diesen Bäumen, ich sähe einen ganz mit Gold bedeckten purpurnen Thron, irgendeinen Ewigkeits-Papst oder Patriarchen darauf und Rosie irgendwo, und in dem Moment war Cody in der Hütte und redete mit ein paar Leuten herum, und es schien so, als sei er zur Linken dieser Vision eine Art Erzengel, und als ich die Augen öffnete, sah ich, dass es nur die Sonne auf meinen Augenlidern war. Und wie ich schon sagte, der eine Kolibri, ein schöner, kleiner, blauer Kolibri, nicht größer als eine Libelle, machte immer wieder seinen pfeifenden Sturzflug auf mich, begrüßte mich offenbar, jeden Tag, gewöhnlich am Morgen, und ich grüßte immer mit einem Ruf zurück. Schließlich begann er, im offenen Fenster der Hütte zu schweben, summte dort mit seinen rasenden Flügeln, sah mich mit kleinen glänzenden Augen an, dann schscht, war er weg. Dieser Typ von kalifornischem Schwirrer …
    Trotzdem hatte ich manchmal Angst, er könnte mir mit seinem langen Schnabel wie mit einer Hutnadel in den Kopf stechen. Im Keller unter der Hütte krabbelte auch eine alte Ratte, und man tat gut daran, nachts die Tür zuzulassen. Meine anderen guten Freunde waren die Ameisen, eine ganze Kolonie, die auf der Suche nach Honig in die Hütte kam («An alle Ameisen, an alle Ameisen, holt euch euren Honig ab!», sagte ein kleiner Junge eines Tages in der Hütte), ich ging also zu ihrem Ameisenhügel und legte eine Honigspur, die sie in den Hintergarten führte, und sie waren eine Woche mit dieser neuen Freudenquelle beschäftigt. Ich ließ mich sogar auf die Knie nieder und unterhielt mich mit den Ameisen. Es gab schöne Blumen rund um die Hütte, rote, purpurne, rosa, weiße, wir machten immer Sträuße, aber der schönste von allen war der von Japhy, aus nichts weiter als Tannenzapfen und einem kleinen Zweig mit Kiefernnadeln. Er hatte etwas von der Einfachheit, die sein ganzes Leben charakterisierte. Er tauchte plötzlich mit seiner Säge in der Hütte auf und sah mich dasitzen und sagte: «Warum hast du den ganzen Tag rumgesessen?»
    «Ich bin der Buddha.»
    Bei so etwas verzog sich Japhys Gesicht immer zu seinem komischen, spitzbübischen Lachen, wie wenn ein Chinesenjunge lacht, wobei Krähenfüße auf beiden Seiten der Augen hervortraten und sein langer Mund aufbrach. Er freute sich manchmal so über mich.
    Alle liebten Japhy, die Mädchen Polly und Princess und sogar die verheiratete Christine waren alle wild in ihn verliebt, und sie waren alle im Geheimen eifersüchtig auf Japhys Lieblingszahn Psyche, die am folgenden Wochenende kam, richtig niedlich in Jeans und mit einem kleinen weißen Kragen, der über ihren schwarzen hochgeschlossenen Pullover fiel, und Körper und Gesicht waren ganz zart und klein. Japhy hatte mir gesagt, dass er selbst ein bisschen in sie verliebt sei. Aber er musste sich sehr anstrengen, sie zum Lieben zu überreden, er musste sie betrunken machen; wenn sie erst einmal zu trinken anfing, konnte sie nicht aufhören. An dem Wochenende, als sie

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