Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Hotels, ein Polizist wird am Kopf getroffen und bricht zusammen. Die Vermummten treten gegen seinen Kopf und bespritzen ihn mit Chemikalien, dann endlich passiert das, worauf sie warten. Wie Wespen strömen die Hundertschaften aus ihren Verstecken in den Seitenstraßen.
Als die Schlagstöcke ihr Werk verrichtet haben, das Pfefferspray verfliegt und die Wasserwerfer verstummen, sehe ich einige der Antikapitalisten wieder. Sie stehen in der kaffeeduftenden Schlange bei Starbucks und zeigen sich die Schnappschüsse von der Demo auf ihren Smartphones. Das ist die Zeit, in der wir leben. Latte macchiato ist unser Manna, Apple-Stores sind unsere Kathedralen, Geld ist unsere Religion.
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Kapitel 7
Rotkäppchen und der böse Rolf
(Neustadt an der Weinstraße)
M anche Dummheiten bereut man sofort. Es ist klamm, eisig und stockfinster, und ich folge dreiunddreißig wildfremden Männern immer tiefer in den Wald. Sie sind nicht schwul, sie sind auch keine bösen Onkel, aber sie gehören einer unheimlichen okkulten Sekte an: Sie sind Katholiken. Die Männerseelsorge des Bistums Speyer ist zu einer «spirituellen Nachtwanderung» aufgebrochen. Wie die Jünger auf dem Ölberg wollen sie die Dunkelheit von Gründonnerstag auf Karfreitag für ihren Heiland durchwachen – mal schweigend, mal erzählend, mal betend. Nur Gottes Taschenlampe leuchtet uns den Weg. Vollmond.
Wieso ich mir das antue? Der Wein ist schuld. Es ist verteufelt. Je mehr Wein ich trinke, desto weniger merke ich meinen vermeintlichen Ermüdungsbruch. Es begann mit Äppelwoi in Frankfurt, dann stieg ich auf härtere Sachen um. Erst ein «Prinz von Hessen» in Darmstadt, dann ein trockener Bensheimer Wolfsmagen, und bei einem 2011er Ruppertsberger Weißburgunder in der Weinstadt Worms lernte ich einen Angler kennen. Der Mann hockte sich zu mir an die Theke und schlug unaufgefordert ein Fotoalbum mit seinen Trophäen auf. Es war wirklich beeindruckend. Er hatte einen zwei Meter langen Wels aus dem Rhein gezogen und posierte mit einem goldenen Schuppenkarpfen. Der Fisch war größer als ein Schäferhund. Natürlich fragte ich ihn, was sein Geheimnis sei, und der Angler hob sein Glas: «Bub, weißt du was? Jesus sprach zu den Korinthern, saufet wie die Bürstenbinder, saufet, bis ihr fallet nieder, stehet auf und saufet wieder!» Vielleicht meinte er damit, dass nur zwei Dinge im Leben Berge versetzen können: der Glaube und der Alkohol. Aber weil der Wein meine Schmerzen zwar betäubt, aber nicht heilt, bitte ich heute Nacht den Himmel und die Engelein um Hilfe. Deshalb bin ich hier. Außerdem, ich gebe es zu, trieb mich meine satirische Ader auf diesen Trip. Warum in Gottes Namen latscht man freiwillig die ganze Nacht durch einen Wald? Und das auch noch ohne Frauen.
Some walk to remember, some walk to forget. Die meisten suchen Ruhe, wollen Buße tun oder «Jesus erfahren». Rolf aber hasst die Stille. Er läuft, um zu plaudern, und ich bin sein Opfer. Es begann schon am Treffpunkt in Neustadt. Prompt sprang die hochgewachsene Pfälzer Frohnatur auf mich zu und rief: «Ah, ein frisches Gesicht. Das ist aber schön! Junge Männer sind so selten dabei! Ajooh, do werd ich heute mal auf dich uffbasse!» Das mit dem «uffbasse» habe ich nicht sofort als Drohung identifiziert und mich auf Rolf «eingelasse». Dumme Idee. Nach nur fünf Minuten wusste ich, dass er VW-Käfer sammelt und mit seinem Vespa-Club in Hamburg war, ich kannte den Namen seiner Frau, die Namen seiner Kinder, all seiner Enkel und seiner Haustiere, ich konnte seine Krankheiten aufzählen genau wie seine drei Lieblingsweinsorten, Lieblingsweinlokale und Lieblingsweinfeste. Und ich erfuhr, dass das größte Weinfass der Welt nebenan in Dürkheim steht. Es hat einen Durchmesser von 13,5 Metern, ein Volumen von 1,7 Millionen Litern, und in seinem Innern befindet sich ein Restaurant.
Eigentlich ist keine Straße lang mit einem Freund an der Seite. Doch mit Rolf verhält es sich genau umgekehrt: Nach sechs Stunden Wanderung merke ich, dass wir erst zwanzig Minuten unterwegs sind. Rolf redet, redet und redet. Er wiederholt sich, er widerspricht sich, er verrennt sich, aber das ist ihm egal, denn auf seinem Planeten sind Redepausen nur verschenkte Redezeit, und er hört sich selbst sehr gerne reden. Mir dagegen hört er leider überhaupt nicht zu. Ich weiß nicht, wie oft er mich schon gefragt hat, wo ich übernachte und wie lang ich schon unterwegs bin, denn immer, wenn ich zu
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