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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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große Straßen dorthin, viele ohne Seitenstreifen für Radfahrer oder Fußgänger. Das Buch habe ich nicht bekommen. Es war wie verhext, in fünf, sechs Geschäften immer dasselbe Ergebnis: epuisé – ausverkauft! Und andere Literatur brachte mich nicht weiter. Natürlich bin ich frustriert, trotzdem versuche ich, mich zu entspannen und an die Abenteuer zu denken, die im Jura-Gebirge auf mich warten.
    Tropfen laufen schräg über die Busfenster, während wir uns über Serpentinen nach oben schrauben und das Flusstal von Besançon endlich hinter uns lassen. Der Jura soll noch viel wilder und spektakulärer sein als alles, was ich auf dem Rothaarsteig erlebt habe. Angeblich führt er über steile Klippen, die kilometerhoch über den Abgrund ragen, enorme Wasserfälle stürzen sich in die Tiefe. Der Höhenweg passiert türkisfarbene Seen, Grotten und Weinschlösser und durchquert Mouthe, die kälteste Stadt Frankreichs. Dort sollen die Winter so eisig sein, dass der Atem zu Kristall gefriert und klirrend zu Boden fällt. Einmal sank das Thermometer auf sagenhafte minus einundvierzig Grad – die tiefste je in Frankreich gemessene Temperatur. Deshalb tauften die Franzosen das Dorf «La petite Sibérie», das kleine Sibirien. Ob Heinrich IV. dort eine Nacht verbracht hat? Endlich verschwinden die Tropfen an der Scheibe, und aus dem Einheitsgrau des Himmels lugt zum ersten Mal seit langer Zeit ein Fleckchen Blau hervor. Im Licht erinnert mich die Landschaft an die grünen Hügel des Sauerlands. Der kleine dicke Junge ist vor einer Weile an einer Polizeistation in der Pampa ausgestiegen, und endlich erreicht der Mobidoubs den Bahnhof von Pontarlier.
    Sofort ein Déjà-vu: Direkt gegenüber der Station liegt die örtliche Touristeninformation. Der Laden ist nicht ganz so groß wie der in Besançon, dafür sind die Kolleginnen, eine junge und eine ältere Dame, genauso hochmotiviert. Als ich nach «Die große Überquerung des Jura-Gebirges zu Fuß» frage, beginnen sie zu fluchen: «Dieses verdammte Buch! Alle fragen danach! Wir versuchen seit Ewigkeiten, es nachzubestellen. Tut uns leid.»
    «Beginnt denn schon die Wandersaison?»
    «Keine Ahnung, wir wandern nicht. Aber der Jura ist wirklich das Wandergebiet in Frankreich, Monsieur. Hier sind Sie richtig.»
    «Haben Sie denn vielleicht einen Tipp, welche Etappen ich bis Genf nehmen soll, wo ich übernachten kann …»
    «Das steht alles in dem Buch, Monsieur! Hier um die Ecke ist eine Bücherei.»
    In der Librairie L’intranquille à Pontarlier, dem Buchladen des Rastlosen in der Rue Tissot, klärt sich schließlich alles auf. «Die große Überquerung des Jura-Gebirges zu Fuß», dieses allwissende Werk, ist nicht nur ausverkauft, sondern vergriffen. Der Händler ist «désolé». Eine neue, völlig überarbeitete Auflage soll im Juli erscheinen, aber dreieinhalb Monate kann ich beim besten Willen nicht warten. Trotzig decke ich mich mit detaillierten Karten ein, Maßstab 1:25000, miete ein Zimmer mit Internet und Telefon in der Innenstadt und plane mein Abenteuer ohne die Wanderbibel.
    Die Strecke müsste eigentlich in sechs bis sieben Tagen zu schaffen sein. Erst eine harte Etappe über dreißig Kilometer ins kleine Sibirien, dann über Foncine-le-Haut in die Brillenstadt Morez, das Mekka der französischen Optiker. Abstieg vom Skiort Les Rousses aus nach Gex, dann lockere zwanzig Kilometer über die Schweizer Grenze bis ans Ziel.
    Zufrieden lehne ich mich zurück und sehe im Fenster, wie erste schüchterne Sonnenstrahlen auf die Berge und den Skilift über der Stadt fallen. Ich mache ein paar Anrufe. Meiner Mutter geht es gut. Sie nennt mich immer noch einen Hirsch und hält mich für verrückt, das gefällt mir. Ohne eine gesunde Portion Wahnsinn wären die großen Heldensagen nie erzählt worden – Achilles wusste, dass er nicht zurückkehren würde, als er nach Troja zog. Außerdem melde ich mich wieder einmal im Büro von Professor Stefan Weinfurter an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Schon seit einiger Zeit versuche ich vergeblich, ihn zu erreichen. Was das Buch «Die große Überquerung des Jura-Gebirges zu Fuß» für Wandernde ist, scheint seine Schrift «Canossa – Die Entzauberung der Welt» für Historiker zu sein.
    Professor Weinfurter schreibt, der Streit zwischen Heinrich IV. und dem Papst habe unseren Kulturkreis in seinen Grundfesten erschüttert und die Gesellschaftsordnung auf links gedreht. Wie zwei Kontinentalplatten seien Staat

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