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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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schienen es auf mich abgesehen zu haben. Irgendetwas ist da gelaufen. Ich wurde gejagt, um entweder dem Deutschen doch noch mal einen mitzugeben oder sich mit meinem Namen wichtig zu machen. Zweimal wurde ich wegen nichts auf die Tribüne gesetzt. Was sich andere Trainer in ihrer Coaching-Zone erlauben konnten, durfte ich mir nicht zu zehn Prozent erlauben. Bei mir reichte eine Handbewegung, um mich vom Platz zu stellen.
    Andere Länder, andere Sitten. Das merkte ich vor allen Dingen beim Training. Bei den heißen klimatischen Bedingungen war es sinnvoll, am späten Abend oder am frühen Morgen zu trainieren. Von montags bis donnerstags kein Problem. Am Freitag allerdings bildeten sich zwei Fraktionen in der Mannschaft: die der gläubigen Juden und die der weniger gläubigen Juden. Die Orthodoxen bereiten sich ja bereits am Freitag auf den Sabbat vor.
    Da ich mich nicht in diese sensiblen religiösen Gepflogenheiten einmischen wollte, ließ ich die Mannschaft abstimmen. Hätten wir Freitagnachmittag trainiert, wäre es das letzte Training vor dem Spiel am Samstag gewesen. Hätten wir aus Rücksicht auf die Gläubigen nicht Freitagnachmittag, sondern am Freitagmorgen trainiert, hätte ich am Samstagmorgen noch einmal zu einem kurzen Training gebeten, da mir sonst der Zeitraum bis zum Spiel zu groß gewesen wäre. Die, die am Freitag um vier Uhr nachmittags in die Synagoge wollten, wollten natürlich am liebsten Freitagmorgen trainieren. Trotz des frühen Aufstehens, trotz des zweiten Trainings. Die anderen wollten lieber zweimal ausschlafen und auch nur einmal trainieren – eben am Freitagnachmittag. Entschied sich die Mannschaft per Mehrheitsvotum, dass das Training am Freitagnachmittag stattfinden sollte, konnte ich im Team eine gewisse Unruhe erkennen. Die gläubigen Spieler befürchteten, ihrem Glauben nicht so nachgehen zu können, wie sie eigentlich wollten.
    Die Eigeninteressen waren den meisten wichtiger als die Vorgaben des Glaubens. Zähneknirschend nahmen das die Orthodoxen hin. Damit die Verstimmung nicht chronisch wurde, versuchte ich irgendwann einen Mittelweg zu finden. Ich besprach mich mit meinem ebenfalls sehr gläubigen Co-Trainer und legte das Training so in die Mitte des Tages, dass alle zufrieden waren, aber eben viel mehr von der Sonne abkriegten.
    Aber es gab noch ein weiteres Störfeuer, mit dem ich mich im Training arrangieren musste. Ich stand häufiger mit drei, vier Mann weniger auf dem Platz, weil die israelische Armee mal wieder zum Manöver geladen hatte. Was sollte ich tun – ich musste es akzeptieren. Was sollte ich mich als Deutscher in Israel beschweren.
    Der Gaza-Konflikt steigerte sich zur Jahreswende 2008/09 erneut zu einem wahren Krieg. Um gegen den ständigen Raketenbeschuss der palästinensischen Hamas rigoroser als sonst vorzugehen, flog die israelische Armee Angriffe im Gaza-Streifen. Über eintausend Tote waren dort zu beklagen. Ich lebte sechzig Kilometer nördlich vom Kriegsschauplatz, fühlte mich aber trotzdem sicher, da vom Militär ausgegeben worden war, dass es die Raketen der Palästinenser nur vierzig Kilometer weit bis Ashdod schaffen würden. Ich war vom Krieg also nicht betroffen, aber natürlich bekam ich ihn mit. Eben auch weil manche Spieler, die in der Armee waren, auf Abruf bereitstanden. Das hat meine Arbeit nicht unbedingt positiv beeinflusst. Aber in Israel muss man sich dem Militär und der Religion beugen.
    Während des Konflikts wurden sämtliche Heimspiele des von Raketeneinschlägen bedrohten MS Ashdod weiter nördlich in Tel Aviv ausgetragen. Die Liga ruhte sogar für ein paar Wochen. Der Präsident ging so weit, mir freizustellen, nach Weihnachten überhaupt wieder zurückzukehren oder eben zu Hause zu bleiben. Weil ich mich trotz alledem sicher fühlte, stellte sich für mich die Frage nicht. Natürlich kehrte ich zurück. Das haben mir die Israelis hoch angerechnet.
    Ich hatte keine Angst, die Angst der Israelis allerdings war überall zu spüren. Ob am Flughafen, in den Cafés oder auch im Umfeld der Stadien. Es gab mit dem FC Bnei Sachnin einen rein arabischen Club in unserer Liga, was dazu führte, dass wir uns fürs Auswärtsspiel zwanzig Kilometer weit über Schotterwege und unter Begleitung einer Polizeieskorte von hinten ans Stadion heranpirschen mussten. Die Furcht, durch die Stadt zu fahren, war einfach zu groß. Im Stadion angekommen, konnten wir kaum freundlicher empfangen werden. Die Leute umarmten mich, sie wollten ein Foto mit

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