Ganz oder gar nicht (German Edition)
mir. Und als ich in die Kabine kam, stand dort schon ein Tee bereit für mich als deutscher Freund. Unglaublich.
FLIEGENDE FÄUSTE
Ich gehe davon aus, dass zwei, drei israelische Vereine in unserer Ersten Bundesliga mithalten könnten. Das spielerische Niveau der israelischen Liga ist stärker als das in Österreich. Zweimal hat die Champions-League-Qualifikation es nach meiner Zeit bei Maccabi so gewollt, dass der israelische Meister gegen den österreichischen Meister zu spielen hatte. Beide Male kamen die israelischen Vertreter weiter. Beide Male gegen Red Bull Salzburg, das mit einem fünf-, sechs- oder siebenfachen Budget dagegenhielt. In Österreich hatte man sich über das Los gefreut. Ich wurde sogar von österreichischen Journalisten angerufen und als Ehemaliger, der jetzt in Israel trainiert hat, um meine Meinung gebeten. Ich meinte nur, dass ich mich an ihrer Stelle nicht über das Los freuen würde.
Die zwei einzigen israelischen Spieler, die 2012 in der Bundesliga spielen, nämlich Itay Shechter vom 1. FC Kaiserlautern und Almog Cohen vom 1. FC Nürnberg, waren damals bei Netanya. Irgendwie muss der deutsche Fußball in meiner Zeit auf die beiden aufmerksam geworden sein. Vor allem Cohen, ein kleiner defensiver Mittelfeldspieler, wuchs mir ans Herz, weil er mich ein bisschen an den jungen Lothar Matthäus erinnerte. Ähnliche Position, ähnlich hitzköpfig, und obwohl er der Kleinste war, war er in einige Schlägereien verwickelt. Ich habe mich zwar in Gladbach nie geprügelt, in Netanya kamen Handgreiflichkeiten zwischen den Spielern jedoch häufiger vor. Die haben sich im Training – auf Deutsch gesagt »auf die Fresse gehauen«. Meistens reichte eine Kleinigkeit im Zweikampf, und dann ging es ruckzuck. Es wurde nicht gerangelt, nicht geschubst, sondern direkt mit der Faust ins Gesicht geschlagen. So schnell konnte ich als Trainer gar nicht reagieren. Nach zwei Minuten haben sie sich allerdings wieder vertragen.
In Deutschland würde man in so einem Fall eine höhere Geldstrafe verhängen. Die Israelis verdienten aber nicht so, als dass ich unser Strafmaß einfach hätte übertragen können. Ich musste mir andere Strategien ausdenken und verdonnerte den Übeltäter beispielsweise dazu, für die Mannschaft ein Barbecue auszurichten. Strafen habe ich meist dafür genutzt, um die Gemeinschaft zu fördern.
TOURISMUS UND MEDITATIONEN
Wie bei meinen ganzen Spieler- oder Trainerstationen im Ausland bekam ich auch in Israel viel Besuch. Ständig, fast monatlich, musste ich den Reiseführer geben und die immergleichen Orte ansteuern. Die Klagemauer in Jerusalem. Die Via Dolorosa bis hin zur Grabeskirche. Dreißig Kilometer ostwärts zum Toten Meer, um im Salzwasser zu schwimmen. Dann hoch auf die legendäre Festung Masada, die einst von den Römern belagert wurde. Irgendwann hatte ich selbst bei diesen historisch bedeutsamen Orten das gleiche Gefühl, wie wenn ich über den Marienplatz spaziere.
Ich gehe zwar davon aus, dass Jesus wirklich gelebt hat, in Bethlehem geboren wurde und in Jerusalem den Leidensweg gehen musste, um sich dann kreuzigen zu lassen. Aber ich kann nicht sagen, dass ich in Israel Gott näher gewesen wäre als in München. Wer glaubt, der kann das überall tun und hat von überall aus den gleichen kurzen oder langen Draht nach ganz oben.
Was ich jedoch in Israel mal wieder bemerkt habe, war die Kraft der Stille, die Kraft des ruhigen Moments. Ich habe oft am Strand gesessen, aufs Meer hinausgeblickt und meine Gedanken abgestellt. Ich kann ganz bewusst meine Gedanken ausschalten, diesen endlosen Strom im Kopf für ein paar Minuten versiegen lassen. Inspirationen kommen in diesen Momenten ganz automatisch. Ich mache mich gedanklich frei, lasse die Sorgen fallen, damit da oben etwas offen wird, um Platz für Neues zu schaffen. Als Trainer sind mir viele Trainingsformen, taktische Überlegungen, sportliche Ziele genau an diesem Strand vor Herzlia eingefallen. Zwei, drei Stunden saß ich da mit meinem Block. Zu Hause wären mir die Inspirationen niemals gekommen.
Die Kraft der Ruhe habe ich inzwischen auch für die Momente am Spielfeldrand entdeckt, in denen meine Spieler zeigen müssen, dass sie mein Konzept begriffen haben. Alle Aufregung auf der Bank hat einen negativen Einfluss auf das Spiel. Mit Ruhe und Gelassenheit erreiche ich nicht nur für mich selber mehr, sie übertragen sich automatisch auch auf andere. Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht, dass mein Leben ruhig wäre.
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