Ganz oder gar nicht (German Edition)
Verteidigungskünstler bekannt, beorderte die Mannschaft gerne mal nach hinten: »Alle zurück!«, rief er. Ich, eher bekannt als Liebhaber der Offensive, rief aufs Feld: »Greift an!« Beim Stand von 1:0 bevorzuge ich es nun mal, den Vorsprung weiter auszubauen, und nicht mit der Einwechslung eines Verteidigers das fürs Publikum eher unattraktive Minimalergebnis zu halten.
Bei Trapattoni hat die Defensive immer Vorrang. Er fantasierte sich Aufstellungen zusammen, die mir völlig unbekannt waren. Selbst gegen schwächere Mannschaften spielte er auf einmal mit drei defensiven Mittelfeldspielern und dazu noch mit vier ganz eng stehenden Innenverteidigern. Wir hatten zum Teil das zehnfache Budget der anderen Clubs, versteckten uns aber. Wir hatten lauter Nationalspieler und traten mit Defensivtaktik gegen Juniorenspieler an, unglaublich. Unsere Dominanz hätten wir herzeigen müssen. Das versuchte ich den Spielern trotz Traps Fußballphilosophie immer wieder einzubläuen: »Zeigt, wer hier das Heft in der Hand hat!« Wenn ich weiß, dass ich als Red Bull Salzburg jeder anderen österreichischen Mannschaft hoch überlegen bin, dann muss sich das nicht nur in Toren bemerkbar machen, sondern im gesamten Auftreten. Und ist Red Bull nicht eine Marke, die ausstrahlen soll, dass genau dort Action und Unterhaltung sind, wo die Dosen leer getrunken werden? Kann ich bei dieser Philosophie mit acht Defensivspielern auflaufen? Wem im Publikum soll ich das bitte schön verkaufen? Ich hatte mit Trap einen Vorgesetzten, dem es nicht in den Sinn kam, für ein Spektakel zu sorgen. Dabei hätten wir es gekonnt. Wir hatten drei kleine Messis im Team. Aber wenn sich keiner von ihnen entfalten kann, kriegt auch keiner mit, dass es kleine Messis sind. Trap und ich hatten ständig Diskussionen, die nach einer Weile selbst die italienische Presse zu Schlagzeilen veranlasste.
Trotz dieses Durcheinanders sind wir mit 19 Punkten Vorsprung Österreichischer Meister geworden. Rekord! In der Champions League scheiterten wir an Valencia, gewannen das Hinspiel 1:0, verloren aber dann auswärts mit 0:3.
Zum Ende meiner Anstellung kam es, weil ich es wagte, öffentlich Giovannis Einkaufspolitik zu kritisieren. Er wollte einen ugandischen Spieler verpflichten, den weder ich noch, da bin ich mir sehr sicher, er selbst haben spielen sehen. Ihm reichte die Sichtung per DVD. Dafür war er mir zu teuer.
Dazu muss man wissen, dass man als Trainer automatisch sehr, sehr viele Spieler-DVDs zugeschickt bekommt. Natürlich schaut man sich diese Zusammenschnitte an, wenn man einen der Spieler nicht kennt. Weckt jemand mein Interesse, rufe ich einen Kontaktmann in dem jeweiligen Land an. Von ihm erwarte ich mir unabhängige Informationen über den Spieler und frage ihn nach dem Charakter, nach seiner Familie, nach seinem Umfeld. Wenn er dann immer noch interessant ist, schaue ich mir den Spieler ein-, zweimal persönlich an. Das ist meine Pflicht gegenüber meinem Arbeitergeber, ich kann nicht nur auf Dritte hören. Ich muss selbst überzeugt sein, für einen Spieler Geld auszugeben.
Giovanni Trapattoni hatte sich aber auf diesen afrikanischen Spieler per DVD eingeschossen – und ihn kein einziges Mal live gesehen. Egal ob der Spieler nun gut oder schlecht ist, so etwas tue ich nicht. Darf man so etwas nicht äußern?
Am ersten Trainingstag der neuen Saison beschloss der Clubvorstand, meinen Vertrag zu beenden. Als Franz Beckenbauer davon hörte, gab er sein Amt als Berater ebenfalls auf. Was ist die Quintessenz dieses Salzburger Kapitels? Vielleicht, ja, vielleicht muss ich ab und zu gnadenloser zur Sache gehen und das eigene Konzept durchziehen und über Leichen gehen. Aber, nein, vergessen wir den Gedanken. Das bin ich nicht.
Menschlich enttäuscht hat mich die Reaktion von Thorsten Fink. Er äußerte sich gegenüber der Presse in etwa so, dass ich an meiner Entlassung selbst schuld gewesen wäre, da ich ja gegen Trapattoni gewesen sei. Dabei war ich nie gegen Trapattoni. Ich habe es nur nicht unterlassen, mit ihm unsere unterschiedlichen Meinungen zu diskutieren. Von einem Mann wie Fink, dem ich letztlich zwei Karrieretüren öffnete, hatte ich eigentlich ein bisschen mehr Dankbarkeit erwartet. Es schien ihm aber wichtiger zu sein, sich in dieser Umbruchsituation bei Salzburg zu positionieren. Er stieg ja dann auch zu Trapattonis neuem Co-Trainer auf. Dieses Nachtreten hätte er eigentlich gar nicht nötig gehabt.
Was machte der Club nach meinem
Weitere Kostenlose Bücher