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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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Weggang aus seiner Qualifikation für die Champions League? Nichts. Drei weitere Jahre: nichts. Man schied gegen schwächere Mannschaften aus, die ein viel kleineres Budget zur Verfügung gehabt haben, zweimal gegen ein israelisches Team. 2012 unterlag man einer ukrainischen Mannschaft. Das kann für mich nicht der Anspruch eines Vereins sein, der eigentlich internationale Interessen und Möglichkeiten hat.

TRAINING, KRIEG UND SYNAGOGE
    Mein nächster Job brachte mich in ein Land, dem ich in meiner Fußballerlaufbahn einige besondere Momente zu verdanken hatte: Israel. Der übergroße Mönchengladbacher Erfolgstrainer Hennes Weisweiler pflegte eine tiefe Freundschaft zu dem israelischen Nationalcoach Emmanuel Scheffer. Diese persönliche Nähe bildet das Fundament für die bis heute existierende Verbindung zwischen meinem Ex-Club vom Niederrhein und den Israelis. Mein erstes Trainingslager mit Borussia Mönchengladbach erlebte ich im Januar 1980 nicht etwa an den Stränden von Spanien oder Italien, sondern in Tel Aviv. Mein erstes Länderspiel als Kapitän bestritt ich sieben Jahre später ebenso in dieser Stadt. Gleichzeitig war das die erste Begegnung, die eine deutsche Nationalmannschaft gegen Israel austrug – wir gewannen 2:0.
    Im Sommer 2008 trat ich nun meinen Zweijahresvertrag bei Maccabi Netanya an. Netanya ist eine an der Mittelmeerküste liegende 180000-Einwohner-Stadt, eine halbe Stunde nördlich von Tel Aviv. Gerade in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends wurde Netanya von zahlreichen Terroranschlägen heimgesucht, mit vielen Toten und über einhundert Verletzten. Als ich mit Liliana nach Netanya kam, hatte es seit drei Jahren kein Attentat mehr gegeben, aber die Lage mit den Palästinensern war mal wieder angespannt und sollte während meines Aufenthalts eskalieren.
    Maccabi Netanya hatte seine große Zeit – ähnlich wie Borussia Mönchengladbach – in den Siebzigern, die letzte Meisterschaft holten sie 1983. Der neue Eigentümer des Vereins, Daniel Jammer, meinte sehr bildreich, dass ich im Zuge eines Neuaufbaus einen Adrenalinstoß bewirken könne. Zwei Jahre sollte mein Vertrag gelten. Maccabi spielte in dem altertümlichsten Stadion, das ich je gesehen habe. Es muss siebzig, achtzig Jahre alt gewesen sein. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten die sogar alte Kinosessel auf ihre Ränge geschraubt. Die Trainerbank bestand aus Plastikstühlen, deren Beine, wenn man sich ein wenig bewegte, regelmäßig wegknickten. So ein Sitzrisiko kannte ich nur von Grillpartys in Deutschland. Es war schon abenteuerlich.
    Abenteuerlich war auch, dass das Stadion gleichzeitig der Trainingsplatz gewesen ist. Für eine Mannschaft ist das psychologisch schlecht. Denn im Training arbeitet man ja auf das nächste Highlight hin, und das sollte nicht auf demselben Acker passieren, auf dem man auch trainiert.
    Die Kabinen waren schlimm, wirklich schlimm. Der Trainerraum war eine Abstellkammer, in der auch Putzzeug und Klopapier aufbewahrt wurden. Ich fand das, sagen wir mal, lustig. Die spartanischen Zustände gingen allerdings einher mit einer unschlagbaren Herzlichkeit. Wurde es nur ein wenig kalt, brachte man mir sofort und unaufgefordert heißen Tee oder Kaffee. Ab und zu standen ein Croissant und eine Cola auf meinem winzigen Tisch, wie bei Großmuttern. Nach dem Training hat man mich zum Essen eingeladen. Man zeigte mir, dass ich willkommen war.
    Auf die deutsche Vergangenheit bin ich nie angesprochen worden – außer ein einziges Mal. Ein Mann, ungefähr Mitte achtzig, stand in Herzlia, meinem Wohnort, an einer Kreuzung und verkaufte den an der roten Ampel haltenden Autofahrern kleine Toras. »Und? Kommen Sie aus Deutschland?«, beugte er sich mit perfektem Hochdeutsch zu mir ins offene Fenster. Ich bejahte. Da zog er seinen Ärmel hoch und zeigte mir die tätowierte Registriernummer aus dem KZ. Mir stockte der Atem. Ich dachte: »Um Gottes willen, was kommt denn jetzt!« Doch der Mann war nicht voller Hass, er war freundlich, er war höflich, er freute sich, mal wieder Deutsch sprechen zu können. Und auf seine Nummer war er auf irgendeine Weise stolz. Oder besser: Auf sein Überleben war er stolz. Er zeigte seinen Zahlencode mit der unausgesprochenen Genugtuung, die in etwa hätte lauten können: »Mich habt ihr nicht gekriegt! Ich werd’s euch zeigen und mache auch noch die Hundert voll!«
    Die Israelis waren generell sehr deutschenfreundlich. Nehmen wir mal die israelischen Schiedsrichter aus, die

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