Ganz oder gar nicht
stehen.
So etwas hatte sie bisher nur in Filmen gesehen. Schwere le dergebundene Bände füllten die kunstvoll geschnitzten antiken Regale, die ringsum vom Boden bis fast unter die Decke liefen.
Die einzige Wand, die nicht von Bücherregalen bedeckt war, wurde von mehreren Fenstern unterbrochen, durch die man in einen wunderschönen parkähnlichen Garten blickte. Zwischen den Fenstern hingen kostbare Gemälde und Kleinodien aus Parvan und Bagestan.
„König Kavad Panj", murmelte Rosalind, als sie wie magisch angezogen auf eines der Porträts zuging.
„Ja, richtig." Sir John nickte. „Es ist eine von zwei Kopien, die der Künstler selbst angefertigt hat.
Diese hier wurde mir von Seiner Majestät geschenkt, als ich meine Dienstzeit als Botschafter beendete. Es war eine große Ehre für mich."
Rosalind war nicht überrascht gewesen, als sie erfuhr, wer ihr Auftraggeber war. Eine solche Handschrift wie die, die sie übersetzen sollte, konnte nur einem reichen Sammler gehören. Sir John Cross, einst britischer Botschafter in Parvan, war bekannt dafür, dass er dieses Land, in dem er über zwanzig Jahre gelebt hatte, sehr liebte und dort einen großen Freundeskreis hatte.
Rosalind fragte sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn es den Krieg von Kaljuk nicht gegeben hätte. König Kavad Panj war der Vater des Kronprinzen Kavian, dessen Tafelgefährte Jamshid gewesen war. Sie hätte dieses Porträt an einem anderen Ort gesehen, nämlich im Palast von Shahr-i Bozorg. Sicherlich wäre sie dem König selbst begegnet, und auch Sir John, aber unter ganz anderen Umständen.
Ob sie dort auch auf Najib al Makhtoum getroffen wäre? Bei beiden Begegnungen mit ihm hatte sie dieses schwer zu beschreibende Gefühl gehabt, als ob sie sich schon lange kennen würden - aus einem anderen Leben ...
Aber wie auch immer, damals hätte eine Begegnung mit Najib keinerelei Bedeutung für sie gehabt, sie wäre schließlich Jamshids Frau gewesen. Dieses Gefühl war nichts weiter als eine Täuschung.
„Oh, Entschuldigung", murmelte Rosalind, als ihr bewusst wurde, dass sie die ganze Zeit stumm auf das Bild gestarrt hatte.
„Aber nicht doch, meine Liebe", sagte Sir John lächelnd. „Es ist für mich eine Freude, zu sehen, dass meine Schätze gewürdigt werden. Erkennen Sie übrigens auch diese Person?" Er blieb vor einem weiteren Porträt stehen.
Rosalind überlegte einen Moment. „Das ist der Ex-Sultan von Bagestan, nicht wahr? Hafzuddin al Jawadi."
„Richtig." Wehmütig schüttelte Sir John den Kopf. „Ein großer Mann. Sein Sturz war eine Tragödie für dieses Land. Ich war damals Botschafter in Bagestan, wie Sie sicher wissen."
Rosalind lächelte entschuldigend. „Nein, das wusste ich nicht. Ich habe mich bei meinem Studium mehr auf Parvan konzentriert."
„Das alles ist jetzt Geschichte", meinte er versonnen. „Der Staatsstreich fand statt, bevor Sie überhaupt geboren wurden, 1969. Es kommt mir gar nicht so lange vor, aber jetzt sind es schon über dreißig Jahre, dass dieses Land unter einer entsetzlichen Gewaltherrschaft leidet. Was für ein wundervolles, hoch zivilisiertes Land es war!" Wieder schüttelte Sir John bedauernd den Kopf. „Eine schrecklich Zeit war das damals. Man fühlte sich so ausgeliefert an alle möglichen Mächte ..." Er brach ab.
Rosalind blickte ihn überrascht an. „Aber es war doch einfach nur ein forcierter Machtwechsel, oder?"
„Es war weit mehr als das, meine Liebe. Dieser Staatsstreich konnte nur Erfolg haben durch die heimliche Unterstützung des Westens, der ja immer nur am Erdöl interessiert ist. Es gibt Stimmen, die behaupten, er wäre überhaupt nicht erfolgt ohne die, wenn auch verdeckte, Unterstützung durch unsere Regierung."
Erklärend fügte Sir John hinzu: „Wissen Sie, Hafzuddin war ein großer Befürworter der Demokratie.
Er war ein fester Verbündeter des Westens, widerstand jedoch der westlichen Vorherrschaft auf seine Weise. Nach seiner Überzeugung besitzt jede Nation das Recht auf Selbstbestimmung. Er musste auf schmerzliche Weise lernen, dass nicht jeder so genannte demokratische Staat diese Überzeugung teilt."
Rosalind betrachtete das Porträt des alten Sultans mit neuen Augen. „Sie meinen, al Jawadis Sturz war ferngelenkt?"
Sir John lächelte und antwortete diplomatisch: „Natürlich wurde dafür gesorgt, dass es so aussah, als sei der Umsturz ganz und gar hausgemacht, aber Hafzuddin wusste es besser. Als kein Aufschrei zu hören war von den
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