Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
ein vertrauender Verbraucher (»confident consumer«). Dieser vertrauende Verbraucher hat weder Zeit noch Lust, sich umfassend zu informieren. Vielmehr vertraut er auf die öffentlich zugänglichen Aussagen zu Qualität und Preisen von Produkten. Mit anderen Worten: Er ist »einer, der sich auf andere verlässt«. Auf die Werbung zum Beispiel, oder auf Experten, Ernährungsempfehlungen, Zeitungen, Fernsehen, Internet.
So sehen das immer mehr Forscher, die das tatsächliche Verhalten untersuchen. »Wir sind Sklaven unserer Umgebung«, sagt der US-Forscher David Levitsky, Professor für Ernährungswissenschaft und für Psychologie an der Cornell-Universität im amerikanischen Bundesstaat New York. Er sieht die Verbraucher bei ihren Entscheidungen unter einem erheblichen »Druck«.
So nennen das auch die, die den Druck ausüben: »Werbedruck«, sagen sie zum Beispiel.
Der Druck habe in den letzten 30 Jahren erheblich zugenommen, sagt Levitsky, der für seine Untersuchung über die Hintergründe der Verbraucherentscheidungen mit einer Mitarbeiterin mehr als 100 Studien zum Essverhalten ausgewertet hatte. Früher seien die Esser in ihren Entscheidungen noch freier gewesen. Mehr und mehr dominierten »Umweltfaktoren«, deren Rolle mit den Jahren gewachsen sei, als »Folge der Kommerzialisierung des Essens«.
»Die freie Wahl ist eine Illusion«, konstatiert Levitsky. Wenn der Mensch nicht gerade gezügelt werde durch zwingende medizinische Gründe, ein ärztliches Machtwort oder strenge Essenspläne, sei er höchst »verletzlich« gegenüber diesen Einflüsterungen und anfällig gegenüber diesen »Stimuli« aus zumeist kommerziellem Hintergrund.
Sogar der Körper reagiert auf diesen Druck – mit Hunger. So ergab eine Studie des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, dass Werbung die Ausschüttung des appetitanregenden Hormons Ghrelin stimulieren kann: »Die allgegenwärtige Präsenz von appetitanregenden Lebensmitteln in den Medien könnte zur Gewichtszunahme in der westlichen Bevölkerung beitragen«, schlussfolgerten die Forscher um den Medizinprofessor Axel Steiger.
»Wir mögen glauben, dass wir eine auf Informationen gegründete Entscheidung treffen über unsere Ernährung«, sagt auch die New Yorker Ernährungsprofessorin Marion Nestle: »Aber wir können es nicht, weil wir uns nicht bewusstmachen, auf welche Weise die Nahrungsfirmen unsere Wahl beeinflussen.« Der wirkliche Verbraucher lebe in einer wirklichen Welt, in der es Werbung gibt, die nur einen Zweck habe: zum Kauf zu animieren. »Wir treffen die freie Wahl nicht in einem Vakuum«, sagt Nestle. »Wir treffen die Entscheidungen über unsere Ernährung in einer Marketingumgebung, in der Milliarden ausgegeben werden, um uns zu beeinflussen.«
Und die Entscheidungen fallen in einer Umgebung, in der ein bestimmtes Angebot vorhanden ist. Jeder kann nur aus dem auswählen, was es gibt. Und das, was es gibt, sind immer häufiger Produkte, die zumeist süß sind und zuckrig – und damit aus Sicht der Kritiker »Gift«. Es ist eine »giftige Umgebung« (»toxic environment«). Den Begriff hat Professor Kelly D. Brownell geprägt, Direktor des Zentrums für Lebensmittelpolitik und Fettleibigkeit an der Yale Universität im amerikanischen Bundesstaat Connecticut.
Für die Süchtigen ist diese Umgebung natürlich ein Verhängnis.
In der westlichen Welt gibt es, überall zum Greifen nah, eine Überfülle an Zucker, an Süßzeug. An Tankstellen, auf Bahnhöfen, Flughäfen, in den Zügen und Flugzeugen. In den Supermärkten sowieso, aber auch in den Schulen und sogar im Krankenhauskiosk. Und die »giftige Umgebung« breitet sich aus, rund um den Globus. Überall wird es immer schwieriger, das Gesunde zu bekommen, und immer näher rücken Coca-Cola, Prinzenrolle, Nutella.
Die Wissenschaftler nennen das den »Ernährungsübergang« (»nutrition transition«) von der echten Nahrung, den örtlichen Früchten der Natur, den überlieferten Traditionen, Gerichten, Gebräuchen zur globalen Einheitskost, aufgeladen mit Zucker.
Die Handelsliberalisierung führt mithin dazu, dass weltweit das Suchtpotenzial steigt. Im Südsee-Königreich Tonga zum Beispiel stiegen nach den Daten des königlichen Statistic Department die Importe allein bei den süßen Snacks und Chips zwischen 1996 und 2006 von 99 auf 341 Tonnen pro Jahr. Das ist relativ viel, bei 100 000 Untertanen. Parallel zu den Importen stiegen die Diabetesraten.
In Mittelamerika stiegen die
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