Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
tragen viele Faktoren bei. Genetische. Umweltbedingte. Manche essen zu viel. Es hat aber nichts mit Zucker zu tun.«
»Und Ihre stattliche Figur, die kommt demnach auch nicht vom Zucker.«
Baron: »Nö.«
»Sie sind so auf die Welt gekommen?«
Baron: »Mein Großvater war so, meine Mutter war so. Und ich bin so.«
»Also waren es nicht die Spätzle oder der Kuchen.«
Baron: »Mag ich natürlich auch. Ich bin durchaus Genießer.«
Die Schattenseiten des Zuckerkonsums sind ein ganz sensibles Thema. Wenn die allzu sichtbar werden, ist es mit der Verkaufsförderung natürlich erst mal Essig. Um die von den Staaten angestrebte Erhöhung der Zuckernachfrage zu erreichen, dürfen die dunklen Seiten des weißen Pulvers nicht wirklich deutlich werden. Sie sind allerdings kaum zu übersehen, gerade hier in London sind sie sogar schon früh aufgefallen, als die Zuckerlieferungen aus den Kolonien zunächst die Upper Class beglückten. Und hier in London haben sie schon damals eine relativ elegante Form des Umgangs damit gefunden, als zum Beispiel die Zuckerkrankheit immer häufiger diagnostiziert wurde, in der St. Martin’s Lane, ganz in der Nähe des Trafalgar Square, heute eine ganz normale kleine Straße in diesem touristischen Teil Londons, mit Kneipen praktisch in jedem Haus, einem Ristorante Bella Italia, einem McDonald’s, einem Steak House, immer wieder Pubs, Pizza, einer Patisserie, auch zwei Theatern, einem Spaghettihouse, einer Sushibar und einem Starbucks.
Die St. Martin’s Lane 114 ist heute ein schickes Bürogebäude. Damals praktizierte unter dieser Adresse der Mann, der als Entdecker der Zuckerkrankheit in die Medizingeschichte einging: der Arzt Thomas Willis. Ein paar Schritte nur sind es über den St. Martin’s Square zur Kirche St. Martin in the Fields mit ihrer hellen Fassade, den Säulen am Eingang und dem spitzen Turm, wo er auf seine Kosten Messen lesen ließ; er spendete auch viel für die Armen. Der Arzt, der als Entdecker der Zuckerkrankheit gilt, war damals einer der reichsten und angesehensten seiner Zunft.
Er wurde in kurzer Zeit »so bekannt und hatte so unendlichen Zulauf«, dass »nie ein Arzt vor ihm ihn übertroffen« oder gar »mehr Geld im Jahr bekommen« hätte, wie ein Zeitgenosse schwärmte. Willis hat über Epilepsie, Hysterie, Neurosen geforscht und geschrieben. Seine Werke wurden viel gelesen, in England und auf dem Kontinent. Er war auch ein berühmter Hirnanatom, noch heute trägt ein Hirnareal seinen Namen, der Circulus arteriosus Willisii.
Und auch jenes Krankheitsbild heißt bis heute so, das er in seinem Spätwerk Pharmaceutice Rationalis (1674) beschrieben hatte, »zum ersten Mal in der neueren abendländischen Medizin«, so sein Biograph Hansruedi Isler: das Krankheitsbild des Diabetes mellitus. »Diabetes mellitus«, das bedeutet »honigsüßer Durchfluss«. Wobei »Diabetes« die ungewöhnlich starke Ausscheidung von Urin meint, und »Mel« ist der Honig. Die übermäßige Urinausscheidung war schon im alten Ägypten bekannt. Der griechische Arzt Aretaios hatte im zweiten Jahrhundert nach Christus dafür den Begriff »Diabetes« geprägt. Aber erst Willis nannte den Geschmack des Urins bei diesem Krankheitsbild »honigsüß«.
Warum sagte er nicht »zuckersüß«? Weil er damit seiner Karriere geschadet hätte, glaubt Zuckerkritiker William Dufty: »Dr. Willis’ Patientenkreis entstammte ausschließlich der wohlhabenden Bevölkerungsschicht; nur diese Leute konnten sich seit zwei Jahrhunderten einen extrem hohen Zuckerkonsum leisten.« Willis war sogar der Leibarzt von König Charles II., der »wie alle Mitglieder des Hochadels« damals ein »lebhaftes Interesse am lukrativen Zuckerhandel hatte«.
»Was würden Sie tun«, fragt Dufty, »wenn Sie den König und zahlreiche andere hochgestellte Persönlichkeiten, die ihr Geld mit dem Zuckerhandel verdienen, als Patienten hätten? Wenn Willis behauptet hätte, die neue Krankheit würde durch den Verzehr von Zucker verursacht, wäre seine Klientel wahrscheinlich nicht begeistert gewesen. Möglicherweise hätte er seinen Beruf oder gar seinen Kopf riskiert.«
»Also gab er dem Problem einen griechisch-lateinischen Namen und schob damit alle Schuld auf die Bienen. Indem Willis die Angelegenheit auf die Bienen abwälzte und einen geheimnisvollen Namen für die ›Honigentzündung‹ fand, konnte er sein Ansehen als Mediziner vergrößern und sich risikolos seinen Platz in der Geschichte der Medizin sichern.«
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