Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
auch führend beim Ausbau des Plantagensystems.
Die Deutschen hinkten weit hinterher. Doch dank königlicher Förderung wurde Deutschland bald Technologieführer auf dem Kontinent. Preußens König Friedrich der Große (1712–1786), der »Alte Fritz«, hatte in weiser Voraussicht einen Forschungsauftrag erteilt an den Berliner Apotheker und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709–1782). Der untersuchte verschiedene Gewächse auf ihre Süßkraft. Deutschland sucht die Zuckerfrucht: Aus dem Casting der heimischen Pflanzen ging ausgerechnet die hässliche Runkelrübe hervor, die später zur »Königin der Feldfrüchte« aufstieg.
1747 erschien Marggrafs Schrift »Chemische Versuche, einen wahren Zucker aus verschiedenen Pflanzen die in unseren Ländern wachsen zu ziehen«. Im gleichen Jahr trug er seine Beobachtungen an der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vor: »So kam ich gelegentlich auf den Gedanken, auch die Teile verschiedener Pflanzen, welche einen süßen Geschmack besitzen, zu erforschen, und nach mannigfaltigen Versuchen, welche ich angestellt habe, fand ich, dass einige dieser Pflanzen nicht nur einen dem Zucker ähnlichen Stoff, sondern in der Tat wirklichen Zucker enthalten, der dem bekannten aus Zuckerrohr gewonnenen genau gleicht.«
Marggraf wurde dafür 1760 von seinem König zum Leiter der Physikalischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften ernannt. Auch einer seiner Mitarbeiter im Chemielabor erhielt königlichen Lohn: Franz Carl Achard (1753–1821), ein Nachfahre französischer Hugenotten. Der hatte ein industrielles Verfahren für die Zuckerherstellung aus der Runkelrübe entwickelt, bekam vom König ein Darlehen über 50 000 Taler, um das schlesische Gut Cunern zu kaufen und dort Rüben für die Zuckerherstellung anzubauen. Drei Jahre später baute er dort die erste Rübenzuckerfabrik der Welt.
Der Nachfolger des Alten Fritz, Friedrich Wilhelm III., hat die Zuckerproduktion noch forciert: Er verfügte, dass in der Umgebung von allen Zuckerfabriken auf preußischem Boden Rüben angebaut werden sollen. Ein Jahr später erteilte er die allgemeine Gewerbefreiheit für Sirup- und Rohzuckerzubereitungen. Das Recht auf Herstellung von Raffinade aus dem heimischen Rohzucker behielt der preußische König für sich.
Zum finalen Durchbruch allerdings verhalfen der deutschen Rübe die Engländer mit einer ihrer legendären Seeschlachten. Die Royal Navy war schon seit Jahrhunderten im Einsatz, um der Zuckerpolitik Großbritanniens den nötigen Nachdruck verleihen, zeitweilig mit Unterstützung namhafter Piraten, deren berühmtester sogar in den Adelsstand erhoben wurde: Sir Francis Drake (1540–1596). Seine Spezialität waren Überfälle auf die spanischen Konkurrenten in der Karibik: Seeräuber im Dienste Ihrer Majestät Elisabeth I. Die Königin ging sogar mit ihm spazieren und ließ, weil alle Welt den Helden sehen wollte, in aller Eile ein Porträt anfordern, das heute in der National Portrait Gallery hängt, an der Ecke zum Trafalgar Square, jenem Platz in London, der an die Schlacht vom 21. Oktober 1805 erinnert, die den Kontinent schließlich von der karibischen Zuckerquelle abschnitt, weil Franzosen und Spanier vernichtend geschlagen worden waren von Admiral Horatio Nelson (1758–1805), an den die Säule auf dem Platz erinnert. Es ist ein riesiger, leicht abschüssiger Platz, auf dem sich die vielen Menschen fast verlieren, mit den ortstypischen altmodischen Taxis, den roten Doppeldeckerbussen, mit lautem Lärm, Mopedgeknatter, Menschengeschnatter.
Ganz in der Nähe wurde übrigens die Zuckerkrankheit entdeckt.
»Die City von London ist auf Zucker gebaut«, sagte Aubrey Sheilham, der als Professor für Zahngesundheit am University College eher ein Kritiker der Zuckerindustrie ist, zur Zeitung The Guardian: »Sehen Sie nur die Tate Gallery an!« Die Tate Gallery, jenes traditionsreiche Museum direkt an der Themse mit den monumentalen Säulen am Eingang: eine Stiftung des Zuckerbarons Henry Tate. Tate, wie Tate & Lyle, die jetzt für 211 Millionen Pfund (240 Millionen Euro) von der Familie Fanjul übernommen worden ist.
An der Themse schräg gegenüber hat sich mit 196 Millionen Euro Europas größter Zuckerkonzern eingekauft: Südzucker. Die Adresse: Hay’s Lane. Es ist ein klotziges hellbeiges Hochhaus, direkt am Ufer, mit glasverspiegelter Front, innen eine Marmorhalle, sieben Stockwerke hoch, zwei Drehtüren, ein Schild: ED&F Man. Eine der wichtigsten
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