Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
»in Griffweite des Verlangens« plaziert hat.
Und das führt jetzt zu einer ganz neuen Konstellation. Beim Kampf der Weltgesundheitsorganisation gegen die neuen Menschheitsgeißeln steht nicht mehr der Mensch gegen die Natur. Jetzt steht Mensch gegen Mensch. Wer die neuen Krankheitserreger bekämpfen will, kämpft gegen mächtige Gegner. Es sind ganze Industrien, die rund um den Globus aktiv sind, sie haben engagierte Interessenvertreter, die routiniert im Hintergrund agieren, und sie haben natürlich auch mächtige Unterstützer wie jene Staaten, mit denen sie seit langem vertrauensvoll zusammenarbeiten.
In Genf liegen das Gute und das Geld oft nahe beieinander. Und nicht immer siegt das Gute. Wenn die Weltgesundheitsorganisation den Kampf aufnehmen will, dann sitzen die Gegner manchmal schon im eigenen Haus, und plötzlich kann es passieren, dass der Kampf ganz unmerklich eine andere Richtung einschlägt.
Als zum Beispiel hochrangige Wissenschaftler aus aller Welt zusammenkamen, um über die Folgen des Zuckers für die menschliche Gesundheit zu beraten, da hatten sie, schon kurz nachdem sie aus dem Flugzeug gestiegen waren, ein merkwürdiges Gefühl. So auch Professor Jim Mann, ein hochangesehener Wissenschaftler aus Neuseeland: »Als wir ankamen, wurden einige von uns von einem der Beamten, die in die Organisation der Konferenz eingebunden waren, vorgeladen, und er sagte uns sehr deutlich, dass es unangebracht wäre, irgendetwas Schlechtes über Zucker in Bezug auf die menschliche Gesundheit zu sagen«, sagte Mann hinterher gegenüber dem britischen Fernsehsender BBC.
Das war natürlich eine merkwürdige Ansage bei einer solchen Expertenkonferenz, zu der die beiden wichtigsten Weltorganisationen auf diesem Feld eingeladen hatten, die Welternährungsorganisation (FAO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Veranstaltung trug den unscheinbaren Titel »Kohlenhydrate in der menschlichen Ernährung« (im internationalen Experten-Englisch: »Carbohydrates in human nutrition«) und handelte natürlich auch vom Zucker. Es ging darum, eine Stellungnahme zu erarbeiten, die dann sozusagen als amtliche Position der zuständigen Institutionen der Weltgemeinschaft gelten sollte, als Vorgabe für die globale Debatte im neuen Jahrtausend.
Für die Welt sind solche Vorgaben sehr wichtig, sie haben Auswirkungen auf jeden Einzelnen, überall auf dem Globus richten sich die Praktiker danach, in Schulen, Krankenhäusern, Kantinen, natürlich auch die Wissenschaftler und die Ernährungsberater und selbst die Nahrungsproduzenten: Sie stellen ihre Rezepturen darauf ein, orientieren sich bei der Produktpalette daran. So hat es sogar Auswirkungen auf den heimischen Esstisch, was die Experten der großen Weltorganisationen bei so einer Tagung beschließen. Es sollte tatsächlich die wichtigste Konferenz zu diesem Thema im ausgehenden vorigen Jahrhundert werden und den Diskurs auf Jahre hinaus bestimmen – bis zum heutigen Tag.
Die Missklänge und Irritationen, mit der diese Zusammenkunft in der italienische Hauptstadt Rom schon begonnen hatte, begleiteten die ganze Tagung; immer wieder gab es aggressive Querschüsse, worüber sich die beteiligten Wissenschaftler wunderten, bis zum Schluss, als die Ergebnisse veröffentlicht worden waren.
Professor John Cummings von der berühmten britischen Universität Cambridge fand es ungewöhnlich, dass ein Vorsitzender bereits ausgewählt worden war, bevor der Ausschuss überhaupt seine Arbeit aufgenommen hatte. Und dass einer der Offiziellen die Debatte stets blockierte, sobald über Zucker diskutiert wurde. »Ich war sehr überrascht, dass er jedes Mal sofort zur Verteidigung des Zuckers einsprang, wenn er bei den Konsultationen zur Sprache kam«, sagte Professor Cummings. »Ich konnte wirklich nicht verstehen, warum er das tat.« Normalerweise sitzen diese Funktionsträger nur da, hören zu und machen sich Notizen. Diesmal war es ganz anders: »Das war schon sehr verwunderlich.«
Noch mehr irritiert waren die Professoren nach Abschluss der mehrtägigen Konferenz, bei der sie sich schließlich auf ein oberes Limit bei der Gesamtaufnahme der Kohlenhydrate von 55 bis 75 Prozent der täglichen Kalorienmenge geeinigt hatten. Doch in der publizierten Fassung fehlte diese Angabe plötzlich.
Wer es gestrichen hatte, war unklar. Klar war aber, wem das nützt: »Ich denke, es ist eindeutig zum Vorteil der Industrie, wenn es keine obere Grenze gibt«, sagte der neuseeländische Professor
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