Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Einfluss auf die Wahl des Experten oder den Wortlaut des Berichts akzeptiert wurde, dann ist das unannehmbar, das ist wahr«, sagte er.
Doch die Proteste der Teilnehmer halfen nichts. Fortan galt diese Entschließung als offizielle Position der wichtigsten Weltorganisationen in Sachen Zucker – und war in Wahrheit ein Meisterstück des Lobbyismus. Mit Freude bezogen sich die Lobbyisten auf Jahre hinaus auf dieses entlastende Attest von höchster Stelle. Für relativ geringen Einsatz hatte die Industrie einen jahrzehntelang gültigen Persilschein erworben, einen Freibrief für den Zucker, mit den Stempeln der weltweit höchsten Autoritäten, jahrzehntelang gültig, maßgeblich auch für künftige Beschlüsse, etwa von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA, die sich auch sehr wohlwollend zum Zucker geäußert hatte – und sich dabei auf das gesponserte Entlastungspapier von FAO und WHO berufen konnte.
Wann immer Experten, Behörden oder Risikoinstitute über die Gefahren des Zuckers zu befinden haben, müssen sie sich mit den Ergebnissen der FAO / WHO-Konferenz befassen. Und natürlich spielte es auch eine Rolle, als die Weltgesundheitsorganisation ein paar Jahre später den Kampf gegen die neuen Bedrohungen der Weltgemeinschaft verstärken wollte und sogar eine Begrenzung des Zuckerverzehrs plötzlich im Raum stand.
Diesmal hatten sich die Experten sogar durchgesetzt – vorübergehend. Sie hatten eigentlich nur getan, was angesichts der stetig gestiegenen Zuckerlast in der Welt ganz vernünftig schien: Sie hatten eine Obergrenze angegeben, die aus gesundheitlichen Gründen gerade noch zu tolerieren sei. Zehn Prozent des täglichen Kalorienverzehrs. Der Vorschlag stand in einem eigentlich unauffälligen Strategiepapier mit der Bezeichnung »Technischer Report 916«, Überschrift: »Ernährungsgewohnheiten und die Verhütung chronischer Krankheiten«.
Zehn Prozent Zucker, das bedeutet bei 2000 Kalorien also 200 Kalorien aus Zucker, macht 50 Gramm Zucker am Tag, also etwa 10 Teelöffel. Eigentlich genug für das süße Leben im Alltag. Der durchschnittliche Europäer schluckt allerdings 90 Gramm, der Amerikaner sogar 170 Gramm. Wenn die Empfehlungen also weltweit verbreitet worden wären, hätte das bedeutet, dass die Leute womöglich weniger Zucker verzehren. Weniger Zucker, das bedeutet aber auch: weniger Eis, weniger Coca-Cola, weniger Schokoriegel. Und das bedeutet für die betroffenen Firmen: weniger Dollars. Klar, dass ihnen das weniger gefällt. Was dann passierte, beschreibt eine WHO-Abteilungsleiterin in der Sprache des Krieges: »Es war wie eine Bombe.«
In Genf liegt alles sehr nahe beieinander, viele Institutionen der Vereinten Nationen zum Beispiel sind in einem großen Park angesiedelt, den Hügel hinauf, und ganz oben thront die Weltgesundheitsorganisation, mit einer alleeartigen Zufahrt, einer Fahnengalerie, einem herausragenden Vordach vor dem gläsernen Eingang zu dem etwas in die Jahre gekommenen achtstöckigen, langgestreckten Bürokomplex.
Das Nachbargebäude, nur wenige Meter entfernt hinter einem Wäldchen, wirkt wie ein Hochsicherheitstrakt, mit hohem Stahlzaun, stacheldrahtbewehrt, einer Fassade aus dicken Betonplatten, auf dem Dach eine riesige Satellitenschüssel, auch vorn, am Eingang ein stabiler Zaun. Dort steht ein Mann mit gelber Signalweste und fuchtelt mit den Armen: »Hey«, ruft er, »keine Fotos!« Am Eingang steht ein Schriftzug: »Mission of the United States of America«. Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika bei den Vereinten Nationen in Genf. Hierher wurde Professor Philip James einbestellt, ein verdienter Forscher, der unter anderem Direktor des Medizinischen Forschungsrats (Medical Research Councils) im britischen Cambridge war und Vorsitzender einer Internationalen Übergewichts-Task-Force. Er war auch Mitglied jener 30-köpfigen Expertengruppe, die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation in zweijähriger Arbeit das 160-seitige Strategiepapier verfasst hatte, in dem es in einer unscheinbaren Tabelle auf Seite 56 heißt: »Freie Zucker« sollten höchstens zehn Prozent der täglichen Kalorienaufnahme des Menschen ausmachen.
Die Leute in der amerikanischen Botschaft berichteten ihm, was die Tabelle samt Fußnote auf Seite 56 ausgelöst hatte, und erklärten, »warum sie plötzlich so einen enormen Druck aus dem State Department bekamen, um zu erreichen, dass unser Report zurückgezogen wird«. Die Zuckerindustrie, entdeckte er, hatte eine
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