Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
von Washingtons Top-Lobbying-Firmen engagiert. Und er wurde dringend ersucht, von irgendwelchen weiteren Aktivitäten im Zusammenhang mit Zucker Abstand zu nehmen: »Ich wurde gebeten, keine weiteren E-Mails mehr zu schicken über irgendeinen Ernährungsaspekt, der mit Zucker zusammenhängt. Mir wurde gesagt, keine 24 Stunden nachdem ich eine Note abgeschickt habe, fängt die Industrie an zu telefonieren und Dinners zu arrangieren.«
Die US-Zuckerbarone, organisiert in der »Sugar Association«, drohten, die US-Regierung dazu zu bringen, ihre Mitgliedsbeiträge für die WHO zu stoppen. »Die Dollars der Steuerzahler sollten nicht dazu verwandt werden, irreführende, unwissenschaftliche Berichte zu unterstützen.« Man werde »jeden gangbaren Weg nutzen, um die unseriöse Machart dieses Reports zu enttarnen«.
Die World Sugar Research Organisation (WSRO) schickte Briefe, ließ die Verluste errechnen, die durch die Empfehlung zu erwarten seien. Das Übrige erledigte die »International Sugar Organisation« (ISO), die ja in der Zuckerfront die staatliche Seite repräsentiert. 40 Botschafter der Zuckernationen schrieben an die WHO, dass die Empfehlung die Wirtschaft der sich entwickelnden Welt schädige. Die WSRO monierte ebenfalls wissenschaftliche Defizite. »Der Technische Report 916 ist weithin kritisiert worden«, so die Organisation, weil er den Standards für eine wissenschaftliche Übersicht nicht genüge und »weil er die Erkenntnisse einer Reihe von Konsensuskonferenzen über Ernährung und Gesundheit ignoriert«.
Der norwegische Professor Kaare Norum, Senior unter den beteiligten Wissenschaftlern, war außer sich: »Sie sagen, unser Bericht sei unwissenschaftlich? Das ist Bullshit. Der ist einwandfrei.« Bei solchen Auseinandersetzungen geht es natürlich nicht um wissenschaftliche Qualitäten, sondern um Interessen. Hier macht sich die Spezialität der staatlichen Zuckerlobby bezahlt: Sie kann direkt auf die Weltorganisation einwirken, schließlich sind die ISO-Mitglieder Staaten, jeder Staat hat eine Stimme, sie können in der Hauptversammlung auftreten, im Plenum, können die WHO sozusagen von innen beeinflussen.
Bei der Weltgesundheitsversammlung wurde die Empfehlung modifiziert. Die zehn Prozent verschwanden, auf Betreiben der Mitgliedsländer. WHO-Direktor Rüdiger Krech weiß um die Versuche der Einflussnahme der Lebensmittelindustrie: »Wir sind ja hier bei der Weltgesundheitsversammlung, und Gesundheit ist in manchen Ländern der stärkste Wirtschaftszweig. Und sobald Geld eine große Rolle spielt, steigen auch die politischen Interessen. Als WHO haben wir die Aufgabe, uns um die Gesundheit der Bevölkerungen zu kümmern. Chronische Erkrankungen sind bei uns hoch oben auf der Agenda. Zu hoher Zuckerkonsum ist ein Risikofaktor für diese Erkrankungen. Sie können sich sicher vorstellen, dass die Beschlüsse, die hier gefasst werden, manchmal zu Interessenkonflikten führen.«
Krech stammt aus Hamm in Westfalen. Er war Lehrer, hat anschließend Medizin an der Universität Bochum und Gesundheitswissenschaften in Bielefeld studiert, dann aber gemerkt, dass Ärzte nur begrenzt helfen können, weil es ja oft die Verhältnisse sind, die die Menschen krank machen. Jetzt ist er für die Verhältnisse zuständig, in seiner Abteilung bei der WHO geht es auch um die »sozialen Determinanten« von Gesundheit. Also die sozialen Bedingungen, die bei den Krankheiten eine Rolle spielen. Rüdiger Krech steht sozusagen im Zentrum des Geschehens, es ist sein Beruf, den Kampf für die Gesundheit zu organisieren unter Berücksichtigung der real existierenden Verhältnisse und der Mächte des Geldes, die jetzt auch auf ihn einzuwirken beginnen.
Krech: »Ich bekomme jetzt häufig Einladungen, mit Vertretern der Ernährungsindustrien zu sprechen oder auf Konferenzen mit ihnen in Kontakt zu kommen.«
»Und, gehen Sie hin?«
Krech: »Ich hab das bisher noch nicht getan. Aber ich finde es insgesamt sehr wichtig, mit der Industrie in einen Dialog zu kommen. Wir können nicht sagen, das sind alle die Bösen, mit denen sprechen wir nicht.«
»Sondern?«
Krech: »Na ja, wir sind im Moment im Überlegungsprozess. Wir haben gesehen, dass die Tabakindustrie sehr unschöne Mittel angewandt hat. Da haben wir dann eine Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle verhandelt, die bis heute von 168 Mitgliedsstaaten ratifiziert worden ist. Wir freuen uns, dass die EU jetzt ihre Richtlinien gegen den Tabak verschärft. Die WHO arbeitet
Weitere Kostenlose Bücher