Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
nicht mit der Tabakindustrie.«
»Aber mit der Nahrungsindustrie?«
Krech: »Niemand muss rauchen, aber wir alle müssen essen. Deshalb müssen wir mit der Nahrungsmittelindustrie arbeiten. Auf welche Weise das geschehen wird, steht derzeit zur Diskussion.«
»Damit sie sich freiwillig bessert?«
Krech: »Wir müssen besser verstehen, welche Strategien die Lebensmittelindustrien haben. Ist denn die Strategie der Industrie, immer ungesündere Nahrung zu verkaufen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Industrie schädliche Produkte vermarkten will. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Regierungen immer weiter zuschauen, welchen volkswirtschaftlichen Schaden das anrichtet. Wenn nichts passiert, werden die Krankenkassen auch der reichsten Länder das nicht mehr lange stemmen können. Es besteht Handlungsbedarf.«
Der Dialog hat schon begonnen, auch bei dieser Konferenz, es haben sich sogar schon Allianzen gebildet, die gemeinsam mit der Weltgemeinschaft den Kampf aufnehmen wollen. Die machtvollste von allen ist sicher die »Allianz gegen die nicht übertragbaren Krankheiten« (NCD Alliance), gegen jene Krankheiten, an denen angeblich jedes Jahr 35 Millionen Menschen sterben. Die »Mission« der Allianz ist, »die Epidemie zu bekämpfen, indem die Gesundheit in den Mittelpunkt aller Politik gerückt wird«. Im Zentrum stehen vier Gesellschaften, die für vier Krankheiten zuständig sind: die Zuckerkrankheit Diabetes, die Herzkrankheiten, Krebs und Tuberkulose, sie sind verbunden mit vielen Vereinigungen auf der Welt, und so sind es insgesamt 2000 Organisationen in 170 Ländern, die die Allianz bilden. Sie genießen auch freundliche Unterstützung von finanzkräftigen Firmen, wie etwa den amerikanischen Pharmafirmen Merck und Pfizer, dem französischen Konzern Sanofi, von Eli Lilly, Novo Nordisk, Roche Diagnostics, Takeda Pharmaceuticals.
Für deren Quartalsberichte ist es natürlich sehr von Interesse, wo die Reise hingeht bei der weltweiten Bekämpfung der Krankheiten, nicht dass den Leuten plötzlich geraten wird, einfach den Zucker wegzulassen, und nach einer Woche ist dann die Krankheit geheilt, wie das bei jener Studie aus Großbritannien demonstriert wurde, die in der Zeitschrift Diabetologia erschienen ist und die ganze Branche weltweit hat aufhorchen lassen. Nach einer Woche geheilt, das würde für Big Pharma bedeuten: Das schöne Diabetesgeschäft ist beendet.
Ähnlich sieht das wohl auch die andere Seite, die Nahrungsindustrie. So unterstützt zum Beispiel der Nahrungskonzern Unilever (Langnese, Du darfst) die World Heart Federation, Gründungsmitglied im Anti-Krankheits-Bündnis NCD Alliance. Und mit einem anderen NCD-Partner, der International Diabetes Federation, hat sich der weltgrößte Nahrungskonzern Nestlé (Smarties, Kitkat) vertraglich verbunden. Einerseits ist das ja sehr schön, wenn sich große Konzerne für eine gute Sache einsetzen. Andererseits kommen jetzt schon wieder Kritiker und vermuten rein eigennützige Motive auf Konzernseite.
So machten die Aktivisten von der internationalen »Baby Milk Action« sogleich darauf aufmerksam, dass Nestlés Produkte voller Zucker seien: Milo, ein Babydrink für die Dritte Welt, bestehe zu 46 Prozent aus Zucker. Nicht sehr freundlich kommentierte auch die Kolumnistin des British Medical Journal (BMJ), Deborah Cohen, den Pakt zwischen Nestlé und der International Diabetes Federation unter der Überschrift: »Angenehme Bettgenossen?«. Dass Firmen wie Nestlé zugunsten des Kampfes gegen die Zuckerkrankheit von den eigenen Produkten abraten, glaubt sie eher nicht: »Sie würden nie sagen, beschränken Sie die Menge von Junk-Lebensmitteln.« Eher schon, dass die Nahrungskonzerne die Ernährungsaufklärung in vielen Ländern der Welt beeinflussen könnten. Dass sie zum Beispiel Unterrichtsmaterialien mit ihrem Logo versehen, so dass jedes Kind den Eindruck gewinnen muss: Nestlé ist gut gegen Diabetes. »Bildungs-Marketing« nennt das die BMJ -Kolumnistin. »In einigen Ländern würden sie nicht in der Lage sein, Lehrmaterialien mit ihrem Logo zu versehen, in anderen Ländern schon.«
Tatsächlich entfernte Nestlé nach einer Beschwerde von Aktivisten in Russland eine Seite aus einem Unterrichtswerk. Das »Programm zur richtigen Ernährung« zeigte eine Mutter, die ihrem Kind vor einer Prüfung Schokolade gab mit der Begründung, das würde ihm bei der Bewältigung der schwierigsten Übungen helfen. Nestlé sieht das natürlich ganz anders,
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