Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
auch gar nicht als geschäftliche Maßnahme, eher so gesellschaftspolitisch, als »Teil unseres Engagements für Ernährung, Gesundheit und Wellness«, sagte Janet Voûte, Managerin mit dem schönen Titel »Global Head of Public Affairs« in Nestlés Welt-Hauptquartier in Vevey am Genfer See. Die Zusammenarbeit mit der International Diabetes Federation »unterstreicht unsere Kompetenz und unser Know-how bei der Bewältigung von nicht übertragbaren Krankheiten«, fügte sie hinzu. »Ein Gegeneinander oder Schuldzuweisungen, ein Ihr-seid-böse-wir-sind-gut-Ansatz ist überholt«, sagte die Nestlé-Managerin: »Was ich suche, ist ein kooperativer Ansatz, für den in anderen Teilen der Vereinten Nationen Pionierarbeit geleistet wurde und der hier schon angewendet werden sollte.«
Der kooperative Ansatz wird seit langem praktiziert in jenem einflussreichsten Gremium der Weltgemeinschaft, das die Regeln setzt für die Nahrung, die überall auf dem Globus gelten sollen: beim sogenannten Codex Alimentarius, einer gemeinsamen Institution von Welternährungsorganisation (FAO) und Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der »Codex«, wie er kurz heißt, ist sozusagen die Weltregierung in Sachen Lebensmittel, er ist für alles zuständig, was mit der Nahrung zu tun hat, von der Gentechnik bis zu Giftrückständen, von Hormonen bis zu Zusatzstoffen und natürlich auch für Zucker und Süßwaren.185 Staaten der Welt sind Mitglied im Codex (siehe Hans-Ulrich Grimm: »Vom Verzehr wird abgeraten«).
Schön für die Konzerne ist, dass sie direkt zwischen den offiziellen Gesandten der Staaten dieser Welt sitzen. Bei der Sitzung des Codex-Komitees für Zusatzstoffe im chinesischen Hangzhou vom 12. bis 16. März 2012 beispielsweise war einer der beiden Delegierten der Bundesrepublik Deutschland ein Vertreter von Südzucker. In der deutschen Delegation sitzen häufig Vertreter von Firmen aus der Welt des Süßen, Südzucker vor allem, aber auch Schöller Eiskrem, Kraft Jacobs Suchard, Nestlé, der Verband der Süßwarenindustrie sowieso, mitunter geraten da die Regierungsvertreter in eine Minderheitsposition, etwa bei einer Sitzung 2009 in Düsseldorf. Manchmal ist unter den deutschen Delegierten auch ein Vertreter von der Firma Ferrero, die sonst traditionell Italien vertritt, so wie Danone Frankreich, Nestlé die Schweiz. Österreich wird regelmäßig paritätisch repräsentiert von einem Delegierten der Regierung und einem von Red Bull, so etwa in der Sitzung vom 9. bis 13. Mai 2011 im kanadischen Québec.
Coca-Cola sitzt normalerweise in der Delegation der Vereinigten Staaten von Amerika, oft aber zusätzlich in mehreren anderen Delegationen, etwa von Deutschland, Nigeria, Chile oder Mexiko. Auch Nestlé ist ein multinationaler Konzern und daher oft in vielen Delegationen vertreten, mitunter mit gleich zwei Leuten in der offiziellen Delegation der Schweizerischen Eidgenossenschaft, aber auch in den Delegationen von Deutschland, Frankreich oder der Türkei.
Die neue Politik der Bürgerbeteiligung in der Weltgemeinschaft hat die Einflussmöglichkeiten der Konzerne noch erweitert. Weil Bürgerinitiativen neuerdings auch von der Politik als Gesprächspartner ernst genommen werden, gelten jetzt die Multis als Bestandteil der »Bürgergesellschaft«, die in der Weltgemeinschaft »Civil Society« genannt wird. Perfektioniert hat das System der Bürgerbeteiligung die UNO in New York. Die Bürger können sich, in ihrer Eigenschaft als Abgesandte von sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO), eintragen lassen und ihr Anliegen in die Vereinten Nationen einspeisen. Für sie gibt es einen Pass, mit dem sie an UNO-Events teilnehmen können.
In der Weltbürgergesellschaft ist auch die Zuckerindustrie vertreten, beginnend mit der Arab Sugar Federation, dem European Committee of Sugar Manufacturers, diversen Zuckergesellschaft aus einzelnen Ländern und natürlich der World Sugar Research Organisation (WSRO). Die zählt auch bei der Welternährungsorganisation (FAO) zur Bürgergesellschaft, neben Greenpeace und diversen Düngemittelfabrikanten. In der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören Caritas oder Oxfam dazu sowie die Welt Blinden Union, aber auch die Agro-Lobbytruppe »Croplife International« mit Mitgliedern wie BASF, Bayer, Monsanto. Und ILSI, die global aktive Lobbytruppe von Big Food.
Für die Organisationen der Weltgemeinschaft ist es selbstverständlich angenehm, wenn sie die globale Geschäftswelt mit hereinnehmen, als
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