Garantiert wechselhaft
loszuschreien, allmählich übermächtig wurde.
«Von sei’m Holz», erklärte Gundi. «Du hast sei Waldstück mitg’erbt und griechst jedes Jahr dein Andeil.»
Heute Morgen hätte mir der Gedanke, Waldbesitzerin zu sein, sicher gefallen. Doch jetzt löste die Vorstellung destruktive Visionen aus: das Wichtigste zusammenpacken, den Gasthof samt Holz anzünden und mit Marie nach Berlin abhauen.
Ich atmete tief durch.
«Und was mache ich jetzt damit?»
«Im Schubbn aufschichten und droggnen lassen.»
Na klar. Ich hatte ja sonst nichts zu tun.
«Ich kümmere mich später drum.» Mit letzter Kraft schleppte ich meine Einkäufe in die Küche. Um beim Auspacken festzustellen, dass ich zwar neun Tafeln Schokolade gekauft, Essigreiniger und Mülltüten aber vergessen hatte.
Damit waren die Würfel gefallen. Ich wuchtete meinen Lesesessel ins warme Arbeitszimmer, und statt Schrubber und Putzlappen schnappte ich mir eine große Tafel Trüffelschokolade und die Gala, die sich kurioserweise auch in meinen Einkaufswagen verirrt hatte.
Schokolade mampfend versenkte ich mich in die Welt der Promis und Reichen und wunderte mich, was den Redakteuren alles eine Meldung wert war. Mal ehrlich: Dass George Clooney bindungsscheu war, hatte sich mittlerweile herumgesprochen, oder?
Ich blätterte durch die Baby- und Trennungsgerüchte, bis zu einer Fotostory über Elton Johns jährliche Sommerparty. Sofort hatte ich die Schlagzeile zu meiner Tupperparty vor Augen: «So etwas hat Wiestal noch nicht erlebt!»
Dann eine Aufnahme von den Schnepfen und mir. Unterschrift: «Endlich vereint und beste Freundinnen». Darunter ein Foto von mir, in jeder Hand eine Tupperschüssel: «Gastgeberin Nina Lindner war der strahlende Mittelpunkt des Events», gefolgt von einem Bild, auf dem Christian und ich mit Champagner anstießen: «Für diese Frau ließ er natürlich alles hinter sich!»
Papi. Mama. Geschenk.
Verdammt. Verdammt. Verdammt.
Ich klappte die Zeitschrift zu und warf sie in die Ecke. Träum weiter, Nina. Nichts von alledem wird passieren. Du hast eine Bruchbude geerbt, wirst gemobbt, und der Mann, der dein Herz höher schlagen lässt, ist definitiv in festen Händen.
Ich hielt inne und überlegte, ob ich mich weiter in Selbstmitleid suhlen wollte. Nein, wollte ich nicht. Ich würde meine bescheuerten Mantras vor die Tür setzen, Computer, Scanner und Drucker aufbauen und endlich mit der Arbeit anfangen. Wenn die Lage schon hoffnungslos war, wollte ich wenigstens meinen Kontostand in die stabile Seitenlage bringen.
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Acht
Die Vorhersage für Mittwoch, den 2. April:
Im Verlauf des Tages wechseln sich Verständigung und gestörte Kommunikation ab. Es bleibt kein Auge trocken.
«Dein Arbeitszimmer sieht richtig gut aus!»
Verdutzt sah ich meine Tochter an. Sechs fröhlich gesprochene Worte. Und das vor sieben!
«Danke», sagte ich. «Und was habt ihr gestern noch so gemacht?»
Sofort schaltete Maries Redefluss auf einsilbig um. «Bisschen Musik. Und Hausaufgaben.»
«Wollt ihr euch mal hier treffen?»
Marie riss die Augen auf, als hätte ich ihr vorgeschlagen, nackt zur Schule zu gehen. «Mama! Wir haben nicht mal Internet!»
«Wir haben nicht mal Telefon …» Ich angelte das moosgrüne Retro-Teil vom Regal, stellte es auf den Küchentisch und nahm den Hörer in die Hand. Im nächsten Moment warf ich ihn erschrocken wieder auf den Tisch. «Es tutet!»
Marie reckte ihr Ohr in Richtung Hörer und lauschte: «Freizeichen!» Sie lachte. «So hat sich bestimmt Alexander Graham Bell bei seinem ersten Telefonat gefühlt.»
«Weißt du was? Wir rufen Papa an!» Ich wählte seine Nummer.
«Wir haben Telefon!», rief ich aufgekratzt, als er sich meldete.
«Falls du glaubst, ihr seid die Ersten, muss ich dich enttäuschen», sagte Volker. Er hörte sich ziemlich verschlafen an – und ziemlich vergrätzt.
«Nee, ist klar. Aber du bist der Erste, den wir anrufen! Damit du weißt, dass es Marie gutgeht.»
«Es geht mir gu-hut!», rief Marie im Hintergrund.
«Vielen Dank. Aber in Zukunft will ich solche Informationen erst nach acht.» Er legte auf.
Ich grinste Marie an und konnte mein Glück kaum fassen. Denn wo ein Telefon funktioniert, ist der Internetanschluss nicht weit.
Um dazu nähere Infos zu bekommen, musste ich erneut den Kampf mit der Warteschleife aufnehmen.
Schon das fröhliche «Guten Morgen! Und herzlich willkommen!» weckte eine Menge schlechte Erinnerungen, doch ich fügte mich brav
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