Garantiert wechselhaft
geohrfeigt. Wie konnte ich nur immer glauben, was andere leichtfertig versprachen?
«Als hätte ich in all den Jahren mit Volker nichts dazugelernt», brummte ich wütend.
Volker. Verdammt, der hatte auch nichts mehr von sich hören lassen. Im nächsten Augenblick hatte ich ihn am Telefon, gut gelaunt wie seit Ewigkeiten nicht mehr.
«Mensch, Nina, ich wusste gar nicht, was für ein Naturtalent du bist!», rief er fröhlich.
Hallo? War der besoffen? Bekifft?
«Wie meinst du das?»
«Na, diese komischen Wickelteile von dir. Da passt ja alles perfekt zusammen. Echt der Hammer!»
Mir kam ein schrecklicher Verdacht. «Du solltest diesen Rock nähen lassen und meine Sachen löschen. Das hatte ich dir doch ausdrücklich geschrieben!»
«Vergiss diese bescheuerten Röckchen. Ich maile dir gleich mal ein paar Fotos. Du wirst froh sein, dass ich mich erst mal um den Rest gekümmert habe!»
Im nächsten Moment wusste ich, was er gemeint hatte. Wie vom Donner gerührt saß ich vor dem Monitor und starrte fassungslos auf die Modelle, die er nach meinen Entwürfen hatte fertigen lassen.
«Und, was sagst du?»
Ich konnte mich gar nicht so richtig entscheiden. Du widerliches Egoistenschwein? Du übergriffige Pottsau?!
«Jetzt sei bloß nicht eingeschnappt, Nina!», sagte Volker gönnerhaft. «Deine Ideen waren schon ganz gut, aber ich werde das Ganze für die nächste Saison richtig professionell ausarbeiten lassen. Ich habe schon eine tolle Location für die Präsentation im Auge.»
Wie betäubt scrollte ich die Mail herunter. Weitere Modelle erschienen auf dem Schirm. Meine Modelle.
Volker redete währenddessen weiter, als hätte er persönlich das Rad neu erfunden. «Ich habe eine Liste von Kunden zusammengestellt, die ganz verrückt nach solchen Kombi-Teilen sind. Das wird ein Knüller, auch finanziell. Ich würde sagen, wir machen zwanzig zu achtzig.»
«Achtzig Prozent für mich?»
Volker lachte. «Meine Nina, naiv wie eh und je! Nein, nein, die achtzig Prozent gehen natürlich an den, der die Fäden zieht.»
Dazu fiel mir erst mal nichts mehr ein. Außer dass ich diese Fäden zu einer reißfesten Schnur zusammenflechten, um seinen Hals legen … und langsam zuziehen wollte.
Nachdem wir das Gespräch beendet hatten, wurde ich ruhig. Sehr ruhig.
«Jetzt reicht’s», sagte ich zu mir selbst. «Jetzt könnt ihr mich alle mal kennenlernen.»
Zum Nachdenken brauchte ich Abstand. Ich packte eine Flasche Wasser und einen Notizblock in meine Umhängetasche, schlüpfte in bequeme Schuhe und lief los.
Ich folgte dem Feldweg, ging zwischen blühenden Wiesen und Getreidefeldern entlang bis zum Waldrand. Nach einem ordentlichen Anstieg und weiteren Fußmarsch war ich am Ziel: Von hier aus hatte man einen großartigen Blick auf das Tal, in dessen Mitte sich die Wiesach wie ein glitzerndes Band entlangschlängelte. Über mir kreiste ein Bussard, und ganz aus der Ferne hörte ich leise das Brummen eines Mähdreschers.
Ich streckte mich. Ja, dies war der Ort, an dem ich mir mein Leben zurückholen würde.
Vor der verwitterten Felswand auf der Rückseite des Plateaus stand eine Holzbank. Ich zog einen Stein für die Füße heran, machte es mir bequem und holte Block und Stift hervor.
Als Erstes listete ich jeden einzelnen Umstand auf, mit dem ich unzufrieden war. In die nächste Spalte schrieb ich, wie die jeweilige Situation aussehen müsste, um mich glücklich zu machen.
Immer wieder hielt ich inne, sah den Wolken bei ihrer Wanderung am sommerblauen Himmel zu und dachte nach. In der trägen Wärme des Nachmittags sortierte ich meine Wünsche. Und dann meine Möglichkeiten. Erstaunlicherweise gab es eine ganze Menge Spielraum, jetzt, wo ich endlich keine Angst mehr hatte, alles zu verlieren …
Weil ich endlich das gefunden hatte, was ich bisher weitgehend übersehen hatte: mich.
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Sechsundzwanzig
Die Vorhersage für Mittwoch, den 23. Juli:
Dank neuer Erkenntnisse kommt mutige Stimmung auf, in deren Verlauf vieles geklärt wird.
Gundi sah mich erstaunt an, als ich mit einem fröhlichen «Guten Morgen» in die Küche kam, die Pfanne auf den Herd stellte und anfing, ein Omelette Nina für uns zu zaubern.
«Hast du was gedrungg’n?», fragte sie misstrauisch und schielte nach der Flasche Rotwein, die auf der Anrichte stand.
Ich schüttelte den Kopf. «Ich habe zur Abwechslung mal über mich nachgedacht. Und da oben aufgeräumt.» Ich tippte mir an die Stirn. «Das haut mehr rein als der
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